D2library

Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 09 - ein alter Bekannter

Die Axt fährt ein letztes Mal in das Holz, dann ist der Baum am Ende. Zwei Serien von Hieben haben einen Keil im Stamm gelockert; mit der flachen Seite der Klinge wird dieser herausgeschlagen und fällt zu Boden.
Ein unangenehmes Knacken ertönt. Der Blick fällt auf das gerade entfernte Stück; es ist zur Mitte hin komplett verfault, der Baum war schon vor dem Kuss der Klinge von seinem perversen Leben befreit gewesen. Das bedeutet allerdings, dass es ein großer Fehler war, so viel herauszuschlagen ... das noch übrige Stück Stamm wird das Gewicht der Krone nicht von selbst halten können.
»Verdammt!«, ruft eine Stimme von hinten, als jemand die Gefahr bemerkt. Doch schon neigt sich die hässliche Riesenpflanze, noch im Tod gewillt, den verhassten Menschen so viel Leid zuzufügen, wie möglich ...
Die Axt fällt aus den starken Händen des für den zu frühen Baumsturz Verantwortlichen. Er springt zurück, reißt die Arme nach oben, und - hält das Borkenungetüm auf.
»Lauft!«, ruft er, und hört, wie seinem Befehl Folge geleistet wird. Dann geben auch seine Kräfte nach, und sein Körper wird unter sich noch trügerisch an das Grün klammernde Blätter, überraschend zähen Ästen und dem ganzen Gewicht des ausgehöhlten Stammes zerschmettert.

»Dorelem ...«, keucht jemand ungläubig von hinten. Ich sammle mich wieder und fließe unter dem heimtückischen Holz hervor. »Alles in Ordnung, Leute. Tut mir Leid.«
»Ist ja nichts passiert«, grunzt Gajaraf, den ich gerade vor einem Ende bewahrt habe, an dem ich nicht ganz unschuldig gewesen wäre. Er ist ein wortkarger, klein gewachsener Mann mit der typisch olivfarbenen Haut und den leicht schräg stehenden Augen der Einheimischen Kurasts. Ich erinnere mich daran, dass ich ihn schon beim ersten Mal, als ich hier war, gesehen habe. Als Mephisto noch seinen so subtilen, aber so fürchterlichen Einfluss über den Docks stehen hatte, war Gajaraf ein bloßer Schatten seiner selbst. Ein hageres Kerlchen, der Tag für Tag zusammengesunken an einem Holzpfahl kauerte und den der Hass durchzog wie jeden anderen auch; auf seine Situation, auf die Ungerechtigkeit der ganzen Sache, und am meisten auf sich selbst. Seine ganze Familie ausgelöscht von den Dämonen, Frau, Kinder, nur sein Bruder hatte überlebt ... und war vom Einfluss der Hypnotischen Kugel mutiert worden zu einem grauenhaften Monster, das dessen Familie umbrachte. Wir fanden ihn neulich, die Kehle mit dem eigenen Schwert durchgeschnitten, wohl schon bald nachdem der General die Kugel zerstört hatte.

Gajaraf dagegen hat einen neuen Sinn in seinem Leben gefunden. Seine Schultern sind nunmehr sicherlich doppelt so breit, als sie es einmal waren. In längst vergessenen, wenngleich nur wenige Monate zurückliegenden Zeiten, war er Rechnungsführer einer Bäckerei gewesen, körperliche Arbeit ihm unbekannt. Jetzt fällt er Bäume, wie so viele andere auch, aber sein Zahlentalent kann sich trotzdem noch bewähren: Er plant, wie viele pro Tag fallen müssen, damit die Arbeiter an den Docks und in der zerstörten Innenstadt genug Material haben; wie viele Menschen man braucht, um das Holz an den Zielort zu schaffen, und das immer wieder neu, wenn ein weiterer Abschnitt gerodet ist.

Kurast hat eine Katastrophe hinter sich, die eine der größten Städte der Welt innerhalb weniger Tage beinahe komplett ausgelöscht hat. Als Mephisto hier offen die Macht übernommen hatte, waren alle Einwohner, die zu nahe am Tempelbezirk Travincal waren, sofort durch die verfluchte Kugel grauenhaft verändert worden, ihnen sprossen Hörner, ihre Gesichter bekamen Schnauzen, der Körper wurde verzerrt, schlanker, größer, tödlicher. Zusätzlich zu diesen nunmehr willenlosen Sklaven sprangen die einst harmlosen Affen grotesk gewachsen hervor, auf ein Vielfaches ihrer Größe aufgedunsen; die Bäume selbst rissen sich aus dem Boden hervor, gewannen Dornen über und über, Arme, die gewaltige Keulen waren und hinterlistig glitzernde rote Augen, welche auf rudimentären und bösartigen Intellekt schließen ließen.
Die Fliehenden aus den weiter entfernten Stadtvierteln stellten fest, dass über Nacht der natürliche Bewuchs an knorrigen, gedrungenen Bäumen, Lianen und Büschen mit gesunden, tiefgrünen und feucht glänzenden Blättern explodiert war. Entlang des Flusses, der gerade noch harmlos den Hafen mit den Geschäftsbezirken verbunden hatte und an dessen Ufern sich viele Hütten der ärmeren Bevölkerung befunden hatten, war nun ein Dschungel. Ein nahezu komplett undurchdringliches Dickicht an Dornen, Schlamm, Fallstricken und nicht zuletzt unzähligen mordlustigen armgroßen Monsterpuppen, die, weit schneller als ein Mensch, ihre überlangen Fleischermesser mit größten Vergnügen führten, um so viele wie möglich abzuschlachten und in großen Töpfen zu kochen. Nur wenige entkamen diesen Fetischen, und nicht selten allein deswegen, weil ihre Freunde, Nachbarn oder Verwandten zahlreich genug waren, um durch ihren Tod die Schlächter lange genug abzulenken.
Viele der Dämonen sind mit der Vernichtung Mephistos verschwunden. Die Dornendrescher sind zu Holzspänen zerfallen, die Tempelwächter an der Masse ihrer eigenen unnatürlichen Muskeln erstickt, sobald die schwarze Dämonenmagie ihr perverses Leben nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Der Dschungel dagegen ist noch da; die Pflanzen sind zwar bei Weitem nicht so lebensfähig wie organisch über mehrere Jahre gewachsene Bäumen, und vielerorts zeigt sich durch fortschreitende Fäulnis, dass einige Jahre des Wartens das Problem sicher von selbst lösen würden, zumindest wenn man ignoriert, wie viele Parasiten, Mücken und Krankheiten durch die Verwandlung des grünen Würgegriffs in reine Biomasse gedeihen würden. So oder so ist niemand gewillt, Jahre zu warten. Mit dem Ende des Hasses hat endlich die Hoffnung wieder Einzug gehalten in Kurast; ihr Funke fiel auf reichen Nährboden, und nun verbrennt sie als Inferno die verfluchte Vegetation, die die Stadt so lange im Würgegriff hatte und ihr beinahe das Leben ausgequetscht hätte.

Als ich vor drei Wochen hier ankam, hatte ich erwartet, mehr tun zu müssen. Meine Reise war viel kürzer ausgefallen, als ich gedacht hätte, aber wenn man bedenkt, dass ich nie rasten geschweige denn schlafen muss, ist das gar nicht so überraschend. So war ich voller Energie, den Leuten hier zu helfen, zu sich zu finden, den Dschungel zurückzudrängen, das Übel zu beseitigen und ihre Stadt wieder aufzubauen.
Statt einem geschlagenem Volk auf der verzweifelten Suche nach dem Sinn und immer noch geschockt von ihren Traumata fand ich allerdings hektische Aktivität. Die Anzahl der Hütten auf und um die Docks hatte sich schon nach dieser kurzen Zeit mehr als verdreifacht. Die Bevölkerung war um einen noch größeren Faktor gestiegen. Wie ich später erfuhr, hatte Meschif sein Schiff und seine Kontake rege genutzt, und aus Lut Gholein eine ganze Reihe Freiwilliger gewonnen, die sich solidarisch zeigen wollten. Zumindest, um bald wieder Handelsbeziehungen mit Kurast über das Meer aufnehmen zu können. Die Wüstenstadt hatte ihre vergleichsweise nichtigen Probleme schon vor längerer Zeit in den Griff bekommen. Dennoch waren sich ihre Einwohner natürlich genauso des gerade noch abgewendeten schweren Schattens der Großen Übel bewusst, und voller Anteilnahme für Kurasts Schicksal. Eine rege Mischung aus Menschen aller Nationen, auch aus dem Westen, nun, wo der Weg über die Berge wieder frei von Dämonen ist, arbeitet fleißig daran, Kurast wieder aufzubauen. Viele von ihnen kannten mich glücklicherweise schon. So gab es keine allzu große Aufregung, als ein Tongolem plötzlich aus dem Dschungel kam. Die Eisenwölfe, welche die Arbeiten professionell überwachen, empfingen mich herzlich, und ihre Anführerin Aschara, opportunistisch wie immer, spannte mich sofort ein. Was mir sehr Recht war. Ich wollte nie mehr, als mein Bestes zu geben um zu helfen, und Kurast war der ideale Ort, um damit anzufangen, am schwersten und vor kürzester Zeit betroffen. So hacke ich Tag und Nacht Bäume, entaste sie, trage die Stämme zu erfahrenen Zimmermännern und -frauen, ruhelos und ohne zu ermüden, und ich könnte nicht glücklicher sein. Die Menschen hier akzeptieren mich ohne Wenn und Aber; selbst die, welche mich nicht als den Diener ihres Retters kennen, interessiert nur, dass ich gute Arbeit leiste und ihnen ohne zu klagen beistehe. Abgesehen davon dürfen sie sich ohnehin keine Vorurteile leisten.

Ich werfe einen Seitenblick zu Ithefel, der dafür zuständig ist, die menschlichen Mitglieder meines Trupps mit Wasser zu versorgen. Die vollen Flakons baumeln von seinen Hörnern, seine überlangen Beine erlauben ihm trotz ihres Gewichts flinke Schritte. Er war am Rande Travincals, als die Hypnotische Kugel ihre grauenvolle Wirkung entfaltete - so war er glücklicherweise nicht dabei, als der Meister so viele seiner Zealot-Kollegen ermordete. Ermorden musste. Vielleicht. Ithefel erwachte aus seiner Hypnose und weiß zum Glück nicht mehr, was er unter ihrem Einfluss getan hat. Beinahe hätte er trotzdem seinem Leben ein Ende gesetzt ... aber er wollte zunächst wissen, ob seine Frau noch lebt. Sie tut es. Und hat ihn wieder angenommen, so, wie er ist, und vermutlich auch bleiben wird. Sie sagt, sie liebt den Mann in dem grotesken Körper, denn es ist der gleiche wie vor seinem fürchterlichen Leidensweg. Kann ihre Liebe halten? Ich weiß es nicht, aber allein die Tatsache, dass sie ihnen beiden eine Chance gibt, ist so unglaublich viel wert.

Kurast ist auf einem guten Weg, da die Hoffnung wieder regiert. Die Menschen stemmen sich dem schrecklichen Erbe der kurzen Herrschaft Mephistos entgegen, und bald wird jede Spur davon beseitigt sein, und im Gegenteil zum Guten gewandelt; es wird viel mit Holz wieder aufgebaut werden, was einst Stein war, zumindest provisorisch. Aber so kann die Stadt wieder genesen. Durch den Willen und die Kraft ihrer Einwohner; der Menschen aus Ländern, die jegliche einstige Rivalität vergessen haben; und zu einem kleinen Teil auch durch mich. Wer rührt hingegen keinen Finger, den Menschen zu helfen? Weder Herold, der Gott der Zakarum, noch die Engel des Himmels, von denen ich zumindest weiß, dass sie existieren. Aber wer braucht die schon? Ich wüsste zu gerne, was Deckard Cain, der letzte Weise der Horadrim und damit der Mensch, der dem Himmel noch am verbundensten ist, dazu zu sagen hätte. Aber Deckard ist nicht mehr hier; ich habe ihn knapp verpasst, vor nur zwei Tagen hat er die Docks eilig verlassen, nachdem er entscheidend mitgeholfen hatte, den Aufbau zu gestalten. Natürlich hat er niemand gesagt, was er vorhat. So gerne er seine Geschichten erzählte, was ihn selbst antreibt bleibt, wie üblich, im Schatten.

Noch ein Baum fällt; diesmal war ich vorsichtiger, und das zurecht; wieder ist der Stamm von innen her verfault, und das Holz damit völlig nutzlos für uns. Ich schüttle den Kopf. »Sieh dir das mal an, Gajaraf.« Der Holzfäller tritt näher, mit Ithefel im Schlepptau; ich scheine ihr Gespräch unterbrochen zu haben. Wortlos deute ich auf die Misere vor mir, und der breitschultrige Vorarbeiter tritt missmutig dagegen.
»Schon der fünfte heute. Verdammt, das wirft uns doch tatsächlich noch zurück.«
»Ich kann ja Überstunden schieben?«, schlage ich mit einem Grinsen vor. Die beiden lachen; würde ich noch eine Stunde länger pro Tag arbeiten, müsste er auf fünfundzwanzig davon ausgeweitet werden. Schnell vergeht dem Mensch das Grinsen allerdings. »Nein, das gefällt mir einfach nicht, ich wollte bis übermorgen mit dieser Sektion fertig sein. Die aus dem ehemaligen Fischmarkt sind seit Tagen am Meckern, dass sie zu wenig Leute haben. Wenn ich ihnen sage, dass sie noch länger auf Verstärkung von hier warten müssen, kriege ich gar keine Ruhe mehr.« Der dämonisch Entstellte legt mir eine Hand auf die Schulter. »Die sind doch so oder so nur neidisch, dass Dor für uns arbeitet.«
Ich mache eine entschuldigende Geste. »Wenn es dem Frieden dient, kann ich ja öfter wechseln ...«, setze ich an, aber Gajaraf unterbricht mich unwirsch. »Du kommst hin, wo ich dich einsetze. Die sollen nur meckern, so viel sie wollen.«
»Und nebenbei«, füht Ithefel etwas zögerlich hinzu, »gefällt es mir hier überhaupt nicht. Ich bin froh, dass du in der Nähe bist.«
Dafür verdient er einen skeptischen Blick von mir. »Was meinst du damit?«
»Ein ganz ungutes Gefühl, das ist alles ...«
»Wenn wir dann fertig sind mit Altweibergewäsch«, fährt Gajaraf wieder dazwischen, »dann hör mir mal zu, Ith. Ich möchte einen, idealerweise zwei weitere Fäller in diesem Gebiet, damit wir den Plan doch erfüllen. Entweder du nimmst selber eine Axt in die Hand ...«

Der Vorschlag lässt den anderen erbleichen. Ithefel weigert sich strikt, eine Klinge in die Hand zu nehmen, seit er aus seiner Hypnose erwacht ist. Ich glaube, er hat Angst, dass er beim Halten einer Waffe sich doch noch erinnert, was er mit seiner Hellebarde alles getan hat im Dienste des Bösen ...
»... oder«, fährt unser Befehlsgeber fort, »du suchst mir Leute aus den Docks, die das übernehmen. Wenn du dich beeilst, und das kannst du gut, dann habe ich heute Nachmittag noch zwei Freiwillige hier.« Schnell nickt der Mutierte. »Das mache ich. Was kann ich ihnen anbieten?«
»Die übliche Rate und einen Extrabonus, wenn sie sofort anfangen - sagen wir ein Zehntel drauf. Nun hopp.« Mit einem schwachen Lächeln verabschiedet sich Ithefel von mir und sprintet sofort los, eifrig durch noch nicht gerodeten Dschungel, um eine Abkürzung zu nehmen. Ich tue so, als würde ich in die Hände spucken, und mache mich daran, wieder an die Arbeit zu gehen ...

Da ertönt ein grauenhafter Schrei. Gajaraf fährt herum, aber ich bin natürlich viel schneller. Bevor der Mensch auch nur einen Schritt machen kann, bin ich schon im Dschungel, Ithefel hinterher. Zwischen zwei Bäumen, die er auch mit seinem unmenschlich dünnen Körper umgehen konnte, kann ich mich einfach hindurch quetschen; und schon bin ich auf einer kleinen Lichtung, er ist nicht weit gekommen.
Fünf Schinder springen auf ihm herum, hacken mit ihren Messern, die gut und gerne so groß sind wie ihre kleinen vertrockneten Puppenkörpern; ihr irres Lachen weckt sehr unangenehme Erinnerungen.
Es sieht so aus, als werde ich nie erfahren, ob die Liebe zwischen dem Opfer grausamer Höllenmagie und seiner Frau eine Chance hatte. Alles ist voller Blut. Obwohl Ithefel ohne Zweifel sehr schnell gestorben ist, machen die Dämonenpuppen keine Anstalten, mit ihrem sinnlosen Werk aufzuhören. Sie zerfleischen die Leiche mit ekelerregender Hingabe.
Eiskalter Zorn erfüllt mich. Ich habe nie gerne gekämpft, schon gar nicht gegen Gegner wie die mutierten Menschen aus Travincal - welche gerettet werden konnten, ich wusste es - oder die Tempelaffen, die leider nie eine Chance hatten. Diese Kreaturen hingegen? Erschaffen nur, um zu töten, auf grausamste Weise. Flink, immer in großen Gruppen unterwegs, die rostigen Messer schärfer, als sie auf den ersten Blick scheinen, und offenbar ein so altes Unheil, dass der Wegfall von Mephistos Magie ihnen überhaupt nichts anhaben konnte.
Einen Moment lang will ich mich nur auf sie stürzen, ihre winzigen Hälse umdrehen, die Schrumpfköpfe zerquetschen. Aber mein Verstand lässt mich einen Augenblick inne halten. Immerhin will ich sie alle.
Es wäre eigentlich Aufgabe des Zweiten, Dinge zu werfen, aber da ich ihn gerade sehr glücklich damit bin, dass er ganz weit weg ist, muss ich mir eben selbst helfen. So schwer kann das nicht sein. Ich rufe mir alte Kämpfe ins perfekte Gedächtnis, hole aus und lasse die Axt fliegen.
Sie zerteilt einen der Dämonen. Na also. Noch während sie auf ihrem Weg war, bin ich schon vorgestürmt. Meine Arme haben sich zu Schwertklingen geformt, und wer denkt, dass Ton nicht scharf sein kann, versteht nicht, wie viel Kontrolle ich wirklich über das Material meines Körpers habe. Die Schneiden sind so dünn und tödlich, wie ich das will, und das ist in beiden Fällen im Moment sehr.
Bevor sie wirklich reagieren können, habe ich mit einem Schwung schon zwei auf einmal geköpft. Mein nächster Hieb verfehlt sein Ziel; die übrigen beiden springen auf, laufen weg. Ich stoße einem das Schwert in den Rücken, er war nicht schnell genug. Der letzte ... meine andere Waffe weicht auf, formt wieder eine Hand, und ihn ihr bildet sich eine perfekte Kugel aus zähem Schlamm. Schon wieder ein Wurf ... aber irgendwie gibt mir die Wut den nötigen Fokus. Ist das, wie der Zweite es macht? Das Projektil trifft den Fliehenden, zerplatzt, lässt ihn stolpern und nicht mehr hochkommen ... bis ich über ihm stehe.
Ich packe die Puppe mit zwei Fingern, ignoriere das Zappeln, gehe langsam zurück. Plötzlich trifft mich die Trauer um Ithefel, und ich weiß weder, wie ich damit umgehen soll - und ob mir ein Fünftel seiner Mörder in meiner Hand dabei irgendwie helfen kann - noch wie ich es Gajaraf sagen soll.

»Ich habe ganz schlechte Nachrichten ...«, beginne ich lahm, bevor es mir die Sprache verschlägt, als ich die Szene vor mir sehe.
Der Vorarbeiter liegt am Boden, stöhnend, aus mehreren Wunden vor allem an seinen Beinen strömt Blut. Jeweils zwei Schinder halten seine Arme fest. Und über ihm aufragend steht, mich direkt ansehend, ein Schamane. Zwei der Püppchen übereinander, mit einem goldenen Schädel, verziert durch Federn und Knochen auf einem Holzpfahl, die der obere trägt. Sie tragen, im Gegensatz zu den dunkelgrünen Höschen der normalen Schinder, jeder einen türkisfarbenen Bastrock.

»Sieh an, wen haben wir denn da. Erinnerst du dich an mich, Golem?« Wie soll ich mich an irgendeinen ... da packt eine eiskalte Faust mein Herz, als mir tatsächlich einfällt, wo ich diese Stimme schon einmal gehört habe.

»Endugu!«

»Es ist so schön, von alten Freunden wieder erkannt zu werden!«

Die Bilder überschlagen sich in meinem Kopf. Der Hexendoktor, wie er neben Natalya steht, einen Dolch in der winzigen Hand, und sie von seinen Untergebenen mit einem glühenden Eisenstab foltern lässt, während der General und ich nur in ohnmächtiger Wut zusehen können. Wie er versucht, diese Wut zu Hass werden zu lassen, damit wir Mephistos Einfluss unterliegen. Der Feuersteindolch, wie er weiße Haut durchdringt, wieder und wieder, und das Blut der Frau, die der General liebt, auf den Boden tropft. Sein ständiges hämisches Gelächter ... besonders, als er davon kommt, und ich keine Wahl habe, außer ihn gehen zu lassen, um das Leben der Assassine zu retten.
Dann später, als ich, der General halb tot an meiner Seite, meine Stahlfinger um Endugus Kehle geschlungen habe, seinen winzigen Hals zerbreche, den Kadaver, der dabei ist, mir in den Händen zu explodieren, an die Wand werfe ...
Und wie der Träger wegrennt ... von dem ich nur hoffte, dass es nicht Endugu selbst war in einem letzten Rollentausch, um uns zu verwirren ...
All dies in dem Dungeon unter einem Schinderdorf, das wir dann niederbrannten, in dem ohnmächtigen Versuch, wenigstens etwas Rache zu üben, Hirne doch vernebelt von dem alles durchdringenden Hass ...
... nur ein paar hundert Meter weiter, wenn ich es mir recht überlege, was ich bisher aber nicht getan habe. Nein! Was für ein fürchterlicher Fehler! Und jetzt ist ein Mensch gestorben, und ein anderer in tödlicher Gefahr, wegen mir ...
Meine Faust ballt sich während mein Gesicht eine hässliche Grimasse formt. Das Zucken des Dämonen in meiner Hand ist vergessen. »Was willst du?«, zische ich. Endugu lacht nur. »Was denkst du? Dich. Deinen Meister. Ich will euch leiden sehen. Bluten sehen. Sterben sehen! Aber nicht zu schnell! Hol ihn her, oder diese Ratte hier wird geröstet.«
Ich wage es gar nicht, mir vorzustellen, was das Inferno eines Schinder-Schamanen auf so kurze Distanz mit dem Holzfäller anstellen würde. Aber ... den General holen? Er ist mehrere Tagesreisen entfernt! Wenn Endugu das herausfindet ... ich muss auf Zeit spielen.

»Warum sollte ich das tun? Du hast ganz offensichtlich eine Falle für ihn vorbereitet.«

Einer der beiden Schinder, die den Schamanen formen, schnippt mit den Fingern. Ist es Endugu oder nur ein Untergebener von ihm, den er dazu abgestellt hat, Köder zu sein? So oder so gehorchen die anderen aufs Wort, und mit einer schnellen Bewegung hackt ein Messer Gajaraf einen Finger ab. Er brüllt, bis Endugus unterer Teil ihm in die Kehle tritt, was den Schrei in einem erstickten Husten untergehen lässt.

»Darum solltest du das tun. Dein Meister ist doch ein großer Held, niemals wird er es einfach zulassen, dass hier ein Unschuldiger seinetwegen gefoltert wird, oder?«

Das hässliche Grinsen auf den zugenähten Lippen lässt meine Faust zittern. Die Knopfaugen glitzern. Was soll ich tun? Weiter Zeit schinden?

»Mein Meister weiß nichts davon, dass hier jemand gefoltert wird. So, wie es aussieht, ist das ganz allein meine Entscheidung, ob er davon erfährt.«

»Ach, ist das so?«, spottet Endugu, und schon fährt das Messer wieder herab. Gajaraf kann nur noch schluchzen. Alles mit Regenerationstränken heilbar, sage ich mir immer wieder, wie ein Mantra. Wenn er nur überlebt.

»Und was ist deine Entscheidung?«, fährt Endugu fort. »Holst du den General, oder möchtest du, dass wir den Rest auch noch abnehmen? Er hat ja vorerst noch genug Finger.«

Was wird passieren, wenn ich ihm einfach sage, dass es nicht einmal eine Möglichkeit gibt, den Meister zu holen? Entweder, er glaubt mir nicht - mehr Schmerzen für sein Opfer. Oder er glaubt mir - dann gibt es für ihn überhaupt keinen Grund mehr, eine Geisel zu behalten. Ganz und gar keine gute Idee. Verdammt! Und er wartet auf eine Antwort ...

»Wie stellst du dir das überhaupt vor? Ich bin nicht in ständiger Verbindung mit dem General. Ich müsste schon dort hinlaufen, wo er sich aufhält, und ihm persönlich sagen, dass seine Anwesenheit ... erwünscht ist.«
Vage genug?

»Ach, du hast keine Möglichkeit, zu kommunizieren? Das ist aber schade«, ätzt Endugu, und sein Gesicht verzieht sich in schlecht gespieltem Bedauern. Das Messer seines Dieners zeichnet ein krudes Zickzackmuster aus Blut auf den Arm des Holzfällers. »Vielleicht fällt dir ja doch etwas ein, meinst du nicht?«

Für einen kurzen Moment versagt mein Denken. Endugu ist alles völlig egal. Wenn ich den General nicht holen kann, dann bringt er eben Gajaraf um, verzieht sich sofort wieder, und wir haben immer noch einen winzigen Bastard herumlaufen, der diesen Dschungel wie seine Westentasche kennt und dafür absolut keine Skrupel. Er spekuliert sicher auch darauf, dass ich das weiß; dass das hier meine beste, einzige Chance ist, ihn zu stoppen, bevor er unglaublichen Schaden anrichten kann. Dafür, dass er völlig wahnsinnig ist, ist er viel zu schlau. Also bin ich in Zugzwang, und zwar bald. Wenn ich nicht irgendwie den General herbeizaubere, stirbt noch ein Mensch aufgrund meiner Schuld während ich nur zusehen kann.
Aber ich kann nicht zaubern.
Was kann ich also machen?
Der Schinder in meiner Hand zuckt wieder.
Ah, aber natürlich. Zaubern kann ich nicht. Aber so tun.
Mit einem Druck meines Daumens breche ich dem Dämon in meiner Hand das Genick und werfe seine kleine Leiche blitzschnell in Endugus Richtung. »Spreng ihn, General!«, schreie ich und stürze gleichzeitig nach vorne.
Für eine halbe Sekunde denke ich, dass mein Plan aufgeht. Endugus Träger weicht einen Schritt zurück, bereit, zu fliehen vor der vermeintlich drohenden Kadaverexplosion ... aber da hält er inne, während wieder dieses grauenvolle Lächeln auf dem Gesicht des oberen, der wohl doch der Hexendoktor selbst ist, erscheint.

Und mit einer Geste und einem Regen magischer Funken wird der fliegende Schinder in der Luft wiederbelebt. Das ... hatte ich natürlich nicht bedacht ... verdammt! Aber was hätte ich sonst tun sollen? Egal! Es gibt kein Zurück. Alles oder Nichts. Wenn er nur lange genug abgelenkt war ...

Die Zeit scheint sich zu verlangsamen. Endugu sieht mich direkt an. Dann senkt sich sein Blick. Er wird doch nicht ... Der Feuerstrahl des Infernos bricht aus der Maske hervor und überspült den bewegungsunfähigen Menschen vor ihm. Gajarafs Schrei ist furchtbar. Ich nehme ihn wahr, als würde er Minuten anhalten, bevor ich endlich am Ziel ankomme, direkt vor Endugu, und den oberen Teil des Schamanenpaars mit voller Kraft wegschlage; der Feuerstrahl hat mich nur kurz betroffen, maximal die Faust etwas gehärtet, was mir ganz Recht ist, und mein Körper hat einiges an Hitze auffangen können, aber war das genug? Noch schreit das Brandopfer, was ein besseres Zeichen ist, als Stille es wäre. Ich maße mir allerdings nicht an, es gut zu nennen.
Der Träger zückt ein Messer. Ich lasse es nicht mal ansatzweise dazu kommen, dass er etwas unternehmen kann. Schnell stirbt er an meiner frisch geformten Klinge.
Der goldene, verzierte Schädel auf seinem Holzpfahl liegt am Boden, einige Meter enfernt. Endugu hat ihn fallen lassen, aber rappelt sich schon wieder auf. Er starrt mich an, dann den Schädel, dann den sich windenden Menschen unter mir. Und grinst hämisch. Schnell überbrückt er die Distanz zum Zeichen seiner Macht, wobei er mir näher kommt; ich will gerade ansetzen, ihn dafür zahlen zu lassen, als mich plötzliche Stille der Situation bewusst werden lässt. Gajaraf hat aufgehört zu schreien.
Er ist schwerst verletzt. Wenn ich Endugu jetzt verfolge, wird er sterben. Aber wenn ich es nicht schaffe, den Hexendoktor zu stellen ... verdammt, was für eine Entscheidung!

»Was ist hier los? Himmel!«, kommt plötzlich eine Stimme von hinten.
Natürlich. Wir sind ja nicht allein im Dschungel. Irgendjemand hat die Schreie gehört, ist gekommen, um nachzusehen. Idealerweise eine ganze Gruppe von Holzfällern, mit Äxten, und mehr als einer von ihnen wird auch Kampferfahrung haben. Vielleicht ... habe ich heute doch das Glück, das ich brauche.
»Kümmert euch um ihn, schnell!«, rufe ich nach hinten, und dann laufe ich los. Endugu hat sich den Schädel geschnappt und ist bereits auf der Flucht. Trotz seiner Last ist er unglaublich schnell; die dämonische Stärke in seinem Schinderkörper, welche den Püppchen sonst erlaubt, die Messer, gleich schwer wie sie, ohne Mühe zu tragen, lässt ihn jetzt damit seine Distanz halten.

Warum kann ich nicht schneller sein ... aber mehr als einen Fuß vor den anderen setzen kann ich nicht. Der Fluss, ganz in der Nähe, fließt in die falsche Richtung, sonst könnte ich als Tonfisch oder wie auch immer geformt mit der Strömung an Boden gut machen. So entkommt er mir langsam aber sicher. Und er kennt sich hier deutlich besser aus als ich. Schon sind wir im tiefen Dschungel, noch völlig unberührt von unseren Äxten. Ich erkenne langsam seinen Plan. Die faulenden Bäume - damit wir schneller in Richtung des Schinderdorfes vordringen, weil sie deutlich problemloser fallen als gesunde. Der Hinterhalt im Wald - um mich kurz wegzulocken von seiner potentiellen Geisel. Und jetzt? Hat er die Flucht auch geplant? Wo sind wir? Schnell rufe ich mir unseren ersten Besuch ins Gedächtnis. Natürlich ist der verfluchte Dschungel mir tief eingebrannt.
Also von wegen, er kennt ihn besser. Zumindest, solange er halbwegs auf der Route bleibt, die wir das erste Mal auch genommen haben. Soweit ... ja. Und mein Tonkörper ist dann doch deutlich besser geeignet für die Umgebung, als mein metallener es war. Er versucht, über Wurzeln zu springen, durch enge Lücken zu schlüpfen, aber ich kann gar nicht stolpern - wenn mein Fuß hängen bleibt, lasse ich ihn eben zurück, forme einen neuen, absorbiere Material aus dem Untergrund einfach im Vorbeilaufen. Ich schwinge mich an Lianen über trügerische Löcher im Boden, ziehe mich an Ästen hoch, um mich vom Baum dahinter abzustoßen, nutze die Erfahrung, die ich in einem anderen, kälteren, sumpfigeren Dschungel erst vor kurzem gewonnen habe. Nach kurzer Zeit halte ich die Distanz zu Endugu. Und dann, ganz langsam, beginnt sie zu schrumpfen.
Und das weiß er. Sieht sich kurz gehetzt um. Verliert dadurch wieder zwei Sekunden. Ich krieg dich, du verdammter Bastard. Du ekelhafter wahnsinniger Folterer, Schlächter, Massenmörder. Alles in mir fokussiert sich auf dieses Ziel, und mit ihm vor Augen kann ich nicht scheitern. Er schlägt Haken, ich schneide Kurven, gewinne wieder an Boden. Er denkt, er könnte sich verstecken? Ich sehe ihn, zerschmettere einen Stamm zu Splittern, lasse ihn wieder rennen. Warum lässt er den goldenen Schädel nicht fallen? Ist er ihm so wichtig? Ist er ohne ihn machtlos? Einmal glaube ich, ich könnte ihm das Ding abnehmen - als müsste ich nur die Hand ausstrecken. Der Moment geht vorbei - aber vor allem, weil ich zögere. Ich will ihm nicht seine Trophäe nehmen. Ich will sein verfluchtes hässliches Unleben aus ihm herauswringen. All der Hass, den ich mir nicht erlauben konnte, als Mephisto noch regierte, kocht in mir hoch. Ich mache ihn zu meinem Schwert. Immer näher ... immer näher ...

Da hören die Bäume plötzlich auf. Ruinen umgeben uns, was von kleinen Hütten übrig ist. Ein paar Steine, verkohlte, nicht völlig verbrannte schmutzige Leinentücher, der ein oder andere Holzbalken, nur ganz grob bearbeitet. Die umgestoßenen Kochtöpfe, der Inhalt zum Glück größtenteils schon verfault, davon gespült, bis auf die weißen Knochen, die noch ab und an darunter hervorblitzen. Das Schinderdorf.
Und Endugus Ziel. Er hält direkt auf die Treppe zu, die, unauffällig ummauert, nach unten führt ... in den Schinder-Dungeon. Wo wir damals eines von Khalims Organen fanden, die uns letztlich erlaubten, die hypnotische Kugel zu brechen. Wo der General fast starb durch unzählige heimtückische Fallen, ich kurzfristig die Kontrolle meines Körpers an den Zweiten verlor, und er beinahe gegen Mephistos Einfluss. Mein Stahlgriff um die Kehle des Menschen, der mir kurz davor noch sagte, dass er mich liebt wie einen Bruder.

Der Hexendoktor verschwindet in den Untergrund. Jetzt ist er wirklich auf heimatlichem Territorium. Ihm da hinunter zu folgen, wäre Wahnsinn. Ich kann nur verlieren.
Der Dungeon hat nur einen Eingang.
Und ich weiß, wie brüchig die Decke ist.
Nur Minuten später stehe ich in der Dunkelheit. Hinter mir fällt der letzte Stein zu Boden. Keine noch so kleine Dämonenpuppe wird hier in naher Zukunft entkommen.
Du wolltest mich und den General in eine Falle locken? Bitte, ich bin hier.
Jetzt werden wir ja sehen, wer hier mit wem gefangen ist.


< < zurück zu Kapitel 5/08

weiter zu Kapitel 5/10 > >

was bisher geschah - im Rich Text Format runterladen

Teil 1 komplett als *.pdf runterladen 640kB

Teil 2 komplett als *.pdf runterladen 840kB

Teil 3 komplett als *.pdf runterladen 840kB

Teil 4 komplett als *.pdf runterladen 900kB


Feedback jeglicher Form könnt Ihr via Mail über diese Adresse schicken.

Valid HTML 4.01 Transitional Valid CSS 2.0

D2library

Counter

Counter