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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 25 - Perfektion erreicht

Tatsächlich finden wir den Meister auf dem Weg zu Larzuk, wie er uns mit forschem Schritt entgegenkommt.
"Ah, gut, dass ich dich hier treffe. Komm mit, ich habe eine Überraschung für dich."

Ich liebe Überraschungen.

Das ist schlicht gelogen. Himmel, der Meister freut sich. Was ist denn da los, und wie viel Sorgen muss ich mir machen?

Bald gar keine mehr, würde ich schätzen.

Ich fühle, wie die Knöchel einer schwer behandschuhten Faust in meiner Magengrube landen. Habt ihr...ihr werdet mich doch nicht loswerden wollen?

Niemals. Wir lieben dich, Dorelem!

Paralysiert lasse ich mich von dem Befehl des Meisters tragen. Mehr denn je fühle ich mich wie eine Marionette an den Fäden eines sadistischen Puppenspielers, der sich mit jedem scheinbar zufälligen Szenenwechsel neue Schrecken für seine Hauptfigur einfallen lässt. Wie soll ich diese Kontrolle nur loswerden? Seit er mir die Beherrschung auferlegt hat, ist es einzig dem Meister überlassen, mir Selbstbestimmung zu geben oder zu nehmen. Und nun, da er den Avatar trägt, hat er seine eigene freiwillig an jemanden abgegeben, dem meine Freiheit völlig egal ist. Aber wer ist das - ist es wirlich nur eine Facette des Meisters selbst, die hier zum Vorschein kommt? Stiehlt ihm etwa der Seelenkäfig wirklich das, was seine Menschlichkeit ausmacht, und lässt nur den hässlichen, selbstsüchtigen, machtgierigen und bösen Kern zurück?
Unfug - das würde doch bedeuten, dass entweder alle Menschen oder zumindest der General von Grund auf böse sind. Das kann ich nicht akzeptieren.

Dein schwarz-weiß-Denken ist doch hier völlig fehl am Platz. Was du selbstsüchtig und machtgierig nennst nenne ich notwendig und angebracht in Anbetracht der Situation. Man muss nicht sagen, dass der Zweck die Mittel heiligt; es braucht keine Segnung des Zwecks. Immerhin wärst es letztlich nur du, der über die Würdigkeit dieses Zwecks heiligt, beeinflusst von welch auch immer seltsamen Moralvorstellungen du dir irgendwie angeeignet hast in den wenigen Tagen, bevor ich meine ewig zum Scheitern verurteilte Aufgabe, dir Vernunft einzuprügeln, begann. Und wer bist du? Was bist du? Bist du überhaupt etwas außer die Verlängerung des Meisterwillens? Die Antwort auf alles: Nichts. Du bist Nichts. Warst es auch nicht.

Der Meister hat uns zu Larzuks Schmiede geführt. Der Schmied ist bereits wieder fleißig am Hämmern. Freundlich nickt er dem Meister zu, als dieser ohne Erwiderung mit größter Selbstsicherheit und leichter Eile in das gedrungene Steingebäude voller Waffen und Instrumente zu deren Herstellung schreitet.
In der Mitte des Raumes ein Objekt, wenig breit und etwa von meiner Höhe, bedeckt von einem dreckigem Tuch. Das Glühen der Kohlen eines kleinen Ofens beleuchtet flackerfrei, aber schattenreich die Überraschung.
Stolz präsentiert der Meister sie. "Für die Gelegenheit ist der Lumpen vielleicht nicht angemessen, aber er war mir natürlich wichtig. Es sind ja schon wertvollere Dinge in dreckigeren Lumpen drapiert gewesen." Er klopft sich auf die Brust.
Ich schaffe ein trockenes Lachen durch meine ansonsten auch recht staubigen Gefühle.
"Und ja, ich habe mich gerade umgezogen und gewaschen. Auch wenn ich mich wieder leichte Skrupel davor hatte, meine neu gefundene Macht mit beiden Händen zu ergreifen...ich kann mich ja immer mit dem Gedanken trösten, dass es mir in voller Montur immer wieder lächerlich vorkommt, dass ich überhaupt Zweifel hatte. Wie auch immer..."
Er winkt ab. "...auch das schien mir angemessen. Zumindest wollte ich ja noch was essen, und nicht aus der Kantine geworfen werden! Aber das kann warten. Wo Larzuk doch so großartige Arbeit geleistet hat!"
Er...plappert?

Manchmal, wenn er wirklich zufrieden ist mit sich selbst, bricht da ein wenig das Großspurige aus ihm heraus, das weiß er aber und erlaubt es sich.

Seit wann? Er ist doch immer großspurig!

Seit er seine ihm bestimmte Rüstung trägt, natürlich.

Auf die er durch Zufall gestoßen ist?

Ein nur für die Blinden vorhandener Widerspruch...

Ich halte diesen Mist nicht mehr lange aus, wenn es so schrecklich ist, wie ich befürchte, dann stürze ich mich wenigstens Kopf voran ins Verderben?
"Was...ist es denn?", frage ich und halte ich den Meister davon ab, weiter zu schwadronieren. Wie ich schon zur Genüge vom Zweiten weiß, ist ein Psychopath furchtbar, aber ein fröhlicher Psychopath das Schlimmste.

Also wirklich, wie redest du vom Meister?

"Freut mich, dass du fragst, Dorelem! Darf ich präsentieren..."
Er packt das Tuch.
"...der Schlüssel zu deiner ultimativen Stärke!"
Die Enthüllung kommt, und sobald ich das Objekt unter dem Tuch sehe, weiß ich, dass ich Recht hatte mit meinem Befürchtungen. Als ich es nach ewigen Sekunden des willentlichen Unglaubens verdaut habe, weiß ich, dass es noch viel schlimmer ist, als ich dachte.
Vor mir steht ein Skelett. Es ist nicht aus Knochen, sondern aus Metall. Dunkelgrau formt es Rippenbögen, Schulterblätter, Arme, Beine, einen Schädel. Die Konstruktion ist primitiv; man kann sehen, dass der Meister es erst vor wenigen Tagen in Auftrag gegeben hat. Larzuk muss dennoch lange daran gearbeitet haben, denn es ist ohne Zweifel von guter Qualität, aber die Arme und Beine bestehen zum Beispiel nur aus jeweils einem "Knochen", der Schädel ist nicht hohl, sondern hat die Löcher für Nase und Augen lediglich wenige Zentimeter tief angedeutet, die Zähne sind von außen als Linien eingedrückt. An strategischen Stellen wird das Gebilde von dem Holzgestell, das es aufrecht hält, auch zusammen gehalten; es ist offensichtlich unmöglich, ein Metallskelett kurzfristig aus einem Guss zu machen, und Nägel oder Bolzen könnten die Einzelteile aufgrund ihres sicher beträchtlichen Gewichts nicht halten.
Aber all das ist unwichtig, nicht wahr? Denn dieses krude Gebilde wird mit Magie behandelt werden.
"Das soll ein neuer Körper werden", stelle ich tonlos fest.
Der Meister grinst breit. "Du bist gut! Oder hat der Zweite gepetzt?"

"Meine Lippen waren versiegelt, Meister".

"Brav, brav. Na, dann wollen wir doch mal..." Er reibt sich die Hände, was von den Schuppen an den Handschuhen unterbunden wird. Stutzt kurz, zuckt mit den Schultern und legt Trang-Ouls Gold direkt auf den Stahl.
"General...können wir das bitte noch kurz bereden?", krächze ich.
"Hm, hm, Dorelem, stör mich jetzt nicht. Das wird diffizil", murmelt er, während er seine Finger über die noch vorhandene Lücke zwischen Hand- und Armknochen tanzen lässt. Langsam beginnt sich das Material unter seinen Berührungen zu verflüssigen, drängt das Holzgestell weg, und die beiden Metallteile sind vereint.Sanft legt der Meister seinen Zeigefinger auf den der Metallhand, und sie zieht ihn ein, an drei Gelenken. Er überlegt, dann fährt er darüber, es werden zwei Gelenke daraus, aber die Spitze verjüngt sich, wird zum Stachel, dann zur Kralle. Das Gelenk dahinter verdickt sich, Material fließt heraus, verstärkt die Waffe, deren Schneide dünner und schärfer wird, dann zieht sie sich in das Gelenk zurück wie die Klauen einer Katze. Rein, raus, der Meister ist zufrieden, und mit einer Geste folgen die anderen Finger diesem Vorbild.
"General, bitte!", rufe ich. "Ich weiß, was du vorhast, und ich bin ganz stark dagegen! Weißt du nicht, dass du gerade den Golem des alten Generals nachbaust?"
Unser erster Höllenweg durch den Schinder-Dungeon flackert mir ungewollt in die Erinnerung, wie es schon öfter alptraumhaft geschah. Als der Zweite die Kontrolle über unseren Körper übernahm, kurz davor, ihm Wahn des von Mephisto gesteigerten Hasses den Meister zu töten...oder war da mehr dahinter? Als er, um mich klein zu halten und zu foltern, die Bilder aus seiner Vergangenheit in mein Hirn zwang und mich hilflos an seinen Untaten teilhaben ließ. Ich wurde in einem Golemkörper aus schwarzem Metall eingesperrt, mit Tonhülle und Flammenkleid, mit Krallen an den Händen und Grausamkeit im Herzen. Auf dem Weg zum Haus eines Mannes, der schon in den Kellern der Festung des alten Generals einem langsamen Tod entgegenlitt, um seine Frau und seine beiden Kinder zu töten.
Das Blut der Frau klebte bald an meinen Krallen, bis das Feuer, das das Haus zerstörte, es weg-, aber in meinen Geist einbrannte. Bis heute weiß ich nicht, warum der Zweite seinen Befehl so großzügig wie möglich auslegte, um die Kinder zu verschonen, grausam gebrandmarkt wie der Junge auch wurde.
Aber ich weiß, wie sich der Körper anfühlte, in dem ich mich befand. Mächtig. Unaufhaltsam. Furchteinflößend. Eine Terrorwaffe, der gedankenlos Befehle ausführende Golem, der durch die Straßen lief um zu strafen, und bei dem jeder Bewohner zum Himmel betete, dass er an seiner Tür vorbei gehen möge. Oder zur Hölle, denn Baal war näher, als Herrscher über die Ecke Sanktuarios, in der der alte General ihm direkt unterstand.
Nie will ich mich so fühlen.
"Natürlich weiß ich das, Dorelem", erklärt der Meister, nachdem er den Schädel dazu gebracht hat, sich selbst auszuhöhlen, und während er überlegt, was er mit dem Mehr an Material macht; er führt es mit angestrengt langsamen Bewegungen auf beiden Seiten gleichzeitig zu diversen Gelenken, um diese zu erschaffen und verstärken. "Aber deswegen tu ich es ja auch. Ohne Frage ist dies das perfekte Modell eines Golems, der alle Materialien, die wir so lange und mühsam auf Stärken und Schwächen getestet haben, vereint. Bis auf das unsägliche Blut, natürlich."
"Dein Namensgeber war böse, General! Warum solltest du je auf den Gedanken kommen, seine Waffen zu benutzen?"
"Die Rüstung trage ich schon, oder? Das ist der nächst logische Schritt. Sei mal still, während ich mich hierum kümmere...wie die ausfahrbaren Klauen kann man da nämlich meines Erachtens auch noch was verbessern." Während ich gezwungen schweigen muss, knetet er an den Fußknöcheln.

Oh, die Sprunggelenke, die unsere Eisenform so gut springen haben lassen! Er ist wirklich würdig, die Magie des alten Meisters zu benutzen. Die natürliche Evolution geht ihm so leicht von der Hand wie die Feuerzauber des Avatars.

Welche ihm die Hände vernarbt haben, als er sie das erste Mal testete!
Die Füße sind behandelt, was bedeutet, dass mein Befehl technisch gesehen erfüllt ist, also springe ich in die Bresche.
"Wenn du nach logischen Schritten gehst, verbündest du dich als nächstes mit Baal, weil das dein Überleben noch sicherer macht als der Sieg über ihn!"
Der Meister hält inne. "Makaber. Bist du sicher, dass dich da der Zweite nicht drauf gebracht hat? Aber nein, natürlich habe ich das bedacht. Nachdem ich mich als klar stärker als seine Brüder erwiesen habe, wird sich Baal nie auf eine Zusammenarbeit einlassen. Er muss wissen, dass ich weiß, dass ich auch stärker als er bin, schon lange."
"Du hast darüber nachgedacht?"
Er zieht ein Gesicht. "Nicht ernsthaft, natürlich, aber es war als Gedankenspiel wertvoll. Nun, Zeit für was Schwieriges. DolEldHelIstTirVex!"
Stille. Also muss ich schweigen. Und mein noch brennenderer, weil persönlicherer Protest, wird im Keim erstickt. Der Meister packt das Holzgestell, hält den Schädel mit der anderen Hand fest, und reißt das Holz dann weg. An manchen Stellen, wo das Metall die es vormals haltenden Streben umschlossen hat, splittert es ab, was die versteckte Stärke des Meisters verrät.
Nichts fällt zu Boden.
"Na also! Dann können wir ja..."
Das ganze Skelett kippt. Hastig hält er dagegen, aber es ist wirklich schwer, und er muss noch einen Schritt zurück machen. Ich bin schon die ganze Zeit im ganzen Körper taub, rühre keinen Fingern, ihm zu helfen; da übernimmt der Zweite die Kontrolle, wogegen ich auch keine Willenskraft mehr aufbringen, und fängt an, sich zur Hilfe zu bewegen.
"Alles in Ordnung!", ruft der Meister. Ein Bein, jetzt proper aus zwei Knochen bestehend, schießt vor, stabilisiert sich selbst und das Metallskelett richtet sich selbst balanciert auf.
"So, jetzt können wir zum spannenden Teil kommen!"
Befehl erfüllt, die Zeit für das Schwierige ist vorbei! Schnell!
"General! Je näher mein Körper dem des alten Golems, des Zweiten kommt, desto einfach wird es für ihn, die Kontrolle zu übernehmen! Ich wette, wenn du den Körper exakt gleich machst, habe ich überhaupt keine Chance mehr, ihn im Zweifelsfall davon abzuhalten!"

Also wirklich - ich fühle mich beleidigt! Welcher Fall sollte das denn sein?

Der Meister wirkt irritiert. "Ja, aber das wird er doch nicht, oder? Bitte, Dorelem, du quengelst. Dachte, du würdest dich mehr freuen, ehrlich. Aber vielleicht ist das ja so wie mit mir, völlig unberechtigte Bedenken, solange du dich noch nicht...eingekleidet hast, und sie verfliegen vollkommen, sobald du die wahre Macht in Händen hältst!"
"Aber...genau davor habe ich doch Angst!"
"Wie gesagt, ich weiß, aber manche Opfer müssen eben gebracht werden, tu ich schließlich auch. Stell dich hier hin, mit dem Rücken zu deinem neuen Kern!"
Und so führt er mich zur Schlachtbank.
Und wie ich von Anfang an ahnte, schon seit er mir das Joch der Beherrschung auferlegte, kann ich absolut nichts dagegen unternehmen. In diesem Moment, als er mich zu einem macht, bin ich längst nur ein Werkzeug ohne freien Willen.
Natürlich kann ich sehen, was mit dem Metallskelett geschieht, auch wenn es hinter mir steht. Und das muss ich auch, denn was bringt es jetzt noch, die Augen zu verschließen? Wenngleich es keine Würde gibt, die ich zu verlieren habe. Es geht, wie immer, ums Prinzip. Mit einer theatralischen Geste holt der Meister den schon lange nicht mehr nötigen Zauberstab aus dem Gürtel, und lässt dessen metallenen Minischädel sanft gegen den jetzt komplett anatomisch korrekt geformten darunter stoßen. Ein glockenhelles Ding hallt aus dem Kontakt hervor, und von der Quelle verwandelt sich das Metall; das normale Stahlgrau wird Obsidian, die Farbänderung setzt sich in Wellen fort bis in die Spitzen der Rippenbögen und die Krallen der Finger, und je mehr das Schwarz voranschreitet, desto mehr breitet es sich in meinem Bewusstsein aus. Da sind die Arme fertig verwandelt, und schießen plötzlich vor, dringen in meinem Tonkörper ein und reißen ihn weit auf. Für einen winzigen Moment verliere ich die Sicht, und dann fühle ich es.
Wie ein Fremdkörper, quer erstickend in der Kehle liegend, ist das Metallskelett in mir. Es drängt den Ton nach außen, mit seiner Schwere, seiner Härte, schneidet mich mit den überall entstandenen schwarzen Kanten auf als hätte man tausend Schwerter durch mich gebohrt.

Jetzt hab dich nicht so. Du bildest dir all das...nur ein...

"Wunderbar!", ruft der Meister, vor Freude strahlend. "Und jetzt..."
Seine ausgebreiteten Hände deuten die Endpunkte an, wo ein blenden helles Glühen einsetzt, und dann schießt von ihnen aus, mit mir genau in der Mitte, die Feuerwand zusammen. Ohne Brennmaterial lodern die Flammen aus dem Boden, ohne Zündmoment sind sie einfach da, erhöhen die Temperatur meiner Tonhülle spontan um viele hundert Grad. Ich schreie laut auf in Schmerz und noch mehr in Verzweiflung, als es mich in Millisekunden festbackt, da runzelt der Meister die Stirn, legt seine Hand ganz leicht schief, und da wird der Ton wieder weich.
Doch der Schmerz bleibt.
Hilflos falle ich auf die Knie, der Ton darum spritzt weg, als die Metallgelenke hart auf dem Steinboden aufkommen. Ich packe meine Brust, die von innen infarktgleich zerrissen und von außen im Inferno kocht, aber zerschneide den Ton nur in Streifen mit Krallen, für die zu kontrollieren ich im Leben nicht die Beherrschung aufbringe.

Es...brennt...was ist schief gegangen?

"Das gibt es doch nicht!", ruft der Meister. "Halt still, verdammt!"
Er packt meinen feuerumzüngelten Kopf, die Flammenwände sind längst verloschen. Nur an dieser Stelle ist kein Ton, wie eben auch in dem alten Modell; das Feuer formt das Gesicht über dem bewusst hindurchgrinsenden Schädel. Und...nur dort habe ich keine Schmerzen, wird mir durch den Nebel der Pein in meinen Tonteilen bewusst. "Ach so!", entfährt es dem Meister. "Da gibt es konkurrierende Magie...aber nicht mit mir!" Sein Mund verzieht sich in eine Fratze der Wut, vor der ich unter anderen Umständen zurückgezuckt wäre, so wild und wahnsinnig wirkt sie. Ich könnte schwören, dass sie dem Zweiten kalte Schauer durch die Seele jagt! Und da bricht etwas in mir, was mich auf eine Art leer zurücklässt, die ich mir bisher noch gar nicht vorstellen konnte.
Der Einfluss des Arreat ist weg.
Die Schmerzen auch. Stattdessen fühle ich...nichts. Auf keinen Fall mehr fühle ich mich gut, wie noch als der Berg mich stärkte. Ich vergieße eine Träne tief in mir und flehe den Berg an, dem Meister diese Blasphemie zu verzeihen.

Kokolores! Der Steinhaufen stand wahrer Größe im Weg! Jetzt ist es perfekt - endlich! Was hab ich hierauf gewartet!

Und...jetzt?

Jetzt kannst du auch an dieser Größe teilhaben. Fühlst du es? Ist es, wie der Meister meinte, sind deine Zweifel verschwunden?

Du...lässt mich am Steuer?

Natürlich. Wir haben eine Abmachung, nicht?

Ich schätze, das haben wir.
Danke?
Und nein, ich bin hauptsächlich verwirrt.

Eine Schande. Aber sag das bloß nicht dem Meister. Ruinier ihm nicht den Moment seiner absoluten Beherrschung der Golemkunst. Bei den Feuern der Hölle, ruinier ihn mir nicht!

"Alles klar, das müsste geholfen haben", sagt der Meister als er seine Hände von mir löst. Das Feuer hat ihnen nichts ausgemacht; jetzt, wo es Teil von mir ist, verbrennt es nur noch, wenn ich will. "Na, was sagst du, Dorelem?"

"Dieser Körper ist...",

beginne ich, und zucke vor dem Klang meiner Stimme zurück als wäre sie drei Große Übel gleichzeitig.
"Haha, darum hast du immer so gerumpelt, Zweiter? Das ist ja lustig. Aber meinetwegen nicht notwendig, sonst komm ich noch durcheinander."
Ich fühle mich, als müsste ich heftig durchatmen, um diesen Schock zu verdauen, was ich natürlich nicht kann. Also stürze ich mich auf meine sonst unbewusste Sprachkontrolle, und arbeite schnell die gleichen Techniken durch, die ich damals benutzt habe, um den Stahlkörper nicht gar so seelenlos klingen zu lassen.
"...so in etwa?", fiepe ich, korrigiere noch einmal nach unten, wiederhole den Satz und denke, dass ich es nun hingebracht habe. Ein Hoch auf mein perfektes Gedächtnis. Manchmal.
"Ja, wunderbar! Zweiter, du kannst ihn sicher ein wenig unterweisen, oder? Sonst rede ich mir noch den Mund fusslig mit Zeug, von dem du mir schon früher vorgeschwärmt hast. Gewöhn dich erst mal in Ruhe an das Ding, Dorelem - ich habe beschlossen, dass wir für heute Schluss machen. Wenn Emund Glück hat, ist er morgen auch wieder auf den Beinen, du weißt schon ein wenig besser, was du tust, und ich bin ausgeschlafen und vor allem gefüttert. Ach, wo wir schon dabei sind...darum sollte ich mich möglichst gleich kümmern, ich verhungere."
Er stolziert hinaus, und ich folge ihm auf klickenden Sohlen. Natürlich sind sie so gedacht; kein polsterndes Fußbett aus Ton. Man soll hören, wenn der Henker über das Pflaster schreitet.
Während er dem komplett baffen Larzuk sein Meisterwerk vorführt, bin ich taub, in Gehör wie Geist. Was er gerade aus mir gemacht hat...ich fühle mich auf eine Art und Weise falsch, wie ich es nicht mehr tat seit meiner Neuerschaffung als Eisengolem im Dschungel von Kurast. Wieder ist es überklar, dass ich doch nur ein Golem bin und jeglicher Fortschritt, den ich damals als fühlender, einem Menschen eng verbundener Blutgolem und jetzt als Persönlichkeit mit der Möglichkeit zur Erfüllung eigener Wünsche und einem Leben fern des Meisters gemacht hatte, ist ausgelöscht.
Und darüber hinaus fühle ich mich dreckig. Als wäre mit dem Körper aus der Vergangenheit gleich das unsichtbare Blut an den Obsidianklingen der Krallen mit in die Gegenwart geholt worden, als hätte ich die Morde des Zweiten selbst begangen, all die unzähligen im Namen des Tyrannen, der ihn erschuf und ihm nie eine Chance gabe, mehr zu sein als eine Axt, die die Kehlen seiner Feinde durchtrennte.

Wozu auch.

Da eilt Deckard heran, erstarrt aber, als er mich sieht.
"Dorelem, bist du das?"
"Ich fürchte, ja", gebe ich zurück.
Der Meister versetzt mir einen Schlag auf den Hinterkopf, der weit mehr weh tut, als er das eigentlich sollte, nämlich gar nicht. "Immer nur am Meckern! Du wirst schon noch sehen, was du an diesem Körper hast. Gibt es etwas Wichtiges, Deckard? Ich wollte gerade zum Essen." "...ja, es ist, schätze ich, recht wichtig", antwortet der Horadrin-Weise, sichtlich irritiert. "Ich habe Nachricht von Meister Valtores erhalten."
Der Mund des Meisters verzieht sich sofort in übermäßig zur Schau gestelltem Desinteresse, aber mir wird sofort mulmig vor Unsicherheit. Immer noch tut mir Leid, dass ich die Golems in der Totenbeschwörerstadt ihrem Schicksal überlassen musste...

Ja, du hättest da sicher in Ruhe mit dem Rest von ihnen vernichtet werden können. Vielleicht hätte der Meister es dann geschafft, einen nicht mehr ganz so aufmüpfigen Diener zu beschwören. Mich alleine, zum Beispiel.

Sie werden auf keinen Fall einfach all ihre Diener zerstört haben!

Das wünscht du dir zumindest.

"Ach", sagt der Meister tonlos. "Und was will er?"
"Mit Euch reden."
Der Meister lacht. "Das könnte ihm so passen! Nichts kriegt mich dahin zurück, was man glaube ich auch daran erkennt, dass ich freiwillig eine ganze Dämonenarmee vernichte statt in diesem Drecksloch von Sumpf vorbeizusehen."
"Das dachte ich mir bereits", gibt Deckard zurück, und sogar seine über Jahrzehnte gestählte Fassade kühler Diplomatie bekommt leichte Risse. "Und Valtores auch. Weswegen er jemanden vorbeischickt, um persönlich ein paar Worte mit Euch zu wechseln. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass der Wegpunkt hier Anbindung an das Reisesystem auf dem Hauptkontinent findet, die Boten müssen es nur noch erreichen und würden irgendwann heute Nacht eintreffen."
"Nachts? Dann brauchen sie sicher erst einmal ihre Ruhe von der Reise, und ich meine auch", winkt der Meister ab. "Dorelem, du wirst heute Nacht wahrscheinlich ohnehin vor allem das Stadtportal bewachen, nehme ich an? Den Barbaren kann man ja nicht vertrauen, dass sie einen Angriff mit voller Stärke zurückschlagen."
Deckard runzelt schwer die Stirn, was der Meister aber ignoriert und weiterredet: "Dann kannst du sie gleich empfangen, herausfinden, ob sie nur hier sind, um mich um die Ecke zu bringen, und ihnen erklären, dass sie bis zum Morgen warten sollen. Ich brauche meine Ruhe. Valtores kann ohnehin nicht gleich mit einer Antwort worauf auch immer rechnen - selber Schuld, wenn man sich die Achselhöhle der Welt als Rückzugsort sucht. Sonst noch etwas?"
"Das war es, weswegen ich mit Euch reden wollte", erklärt Deckard kühl.
"Wunderbar! Dann genehmige ich mir jetzt ein fürstliches Abendessen. Du weißt, was du zu tun hast, Dorelem, und nutz die Gelegenheit doch gleich, mit deinem Körper zurecht zu kommen. Wenn ich alles richtig gemacht habe, ist dein Skelett quasi unzerstörbar, also wird er dir erhalten bleiben! Gut so, wenn man den Aufwand bedenkt, den ich mir gemacht habe. Schönen Abend, Deckard!"
Damit marschiert der pfeifend weg.
Deckard und ich sehen uns an. Damit er es nicht von sich aus ansprechen muss, breche ich das beginnende schmerzhafte Schweigen sofort. "Ja, es ist deutlich schlimmer geworden. Deckard, ich mache mir ernste Sorgen um ihn."
"...ist mit dir selbst denn alles in Ordnung?", fragt er vorsichtig.
Bedächtig lasse ich meine Metallfinger über die angedeuteten Brustmuskeln fahren.
"Diese Form ist mir aus mehreren Gründen extrem unangenehm. Aber solange ich das so empfinde, denke ich, geht es mir gut."
Der Weise schüttelt den herabhängenden Kopf. "Dorelem, es tut mir sehr Leid, dass es so gekommen ist. Ich weiß, was der Kampf gegen das Böse aus Menschen machen kann, sogar die Besten von ihnen können fallen. Nie hätte ich gedacht, dass der General einmal so offensichtlich am Rande des Abgrunds tanzen würde."
Mein Kopf tut so, als würde er schmerzen. "Wenn du dir auch schon solche Gedanken machst, dann bin ich wirklich bald bereit, zu verzweifeln. Wobei..."

Erzähl ihm bloß nichts von dem Einfluss des Avatars.

Warum? Deckard weiß doch längst, dass der Meister das Set vervollständigen will und vermutlich auch warum; Valtores hat doch mit ihm geredet, bevor er uns in Lut Gholein getroffen hat!

Ja, aber wenn du ihm jetzt sagst, dass du meinst, der Meister wird 'böse' aufgrund des Avatars, wird Deckard mit ihm darüber reden wollen. Der Meister wird seine und deine lächerlichen Sorgen lachend wegwischen, nichts unternehmen, Deckards manchmal durchaus nützlichen Rat in Zukunft ignorieren und dir die Hölle heiß machen, weil du ständig am Petzen bist. Also?

"...ach, ich weiß es nicht", druckse ich.
"Ich wünschte, ich könnte mehr tun, Dorelem. Aber ich fürchte, je mehr ich versuche, die Misstände anzusprechen, desto mehr verschließt er sich. Nur jemand wie du, dem er völlig vertraut, kann noch zu ihm durchdringen. Oder..." Als ich verstehe, worauf Deckard hinauswill, weiten sich meine Augenhöhlen. "Er muss Natalya finden!"
"Ja. Meine inständigste Hoffnung ist, dass sie noch am Leben ist, und bei ihrem eigenen Aufstieg dadurch, dass sie sich an den Dämonen vorbeischleichen muss, statt sich hindurch zu kämpfen, Zeit verliert. Genug, dass ihr aufholen könnt."
"Himmel, dann hoffen wir inständig zu zweit. Auch um ihretwillen, es muss furchtbar sein, tagelang da draußen unterwegs zu sein, ohne ab und an eine Pause einlegen zu können hier, im Warmen..."
"Nach allem, was Natalya weiß, ist Harrogath schon gefallen. Sie hat sich gut vorbereitet, wie Anya mir gesagt hat. Wenn es jemand schafft, alleine da draußen zu überleben, dann sie."
"Danke, Deckard. Das hat mir viel geholfen."
Der Weise lächelt warm. "Solange ich wenigstens dir noch helfen kann, Dorelem. Du lässt mich ja auch. Wie schon gleich nachdem wir uns das erste Mal getroffen haben, kann ich dir nur immer wieder bestätigen: du hast es am Schwersten von uns allen. Dein Meister kämpft mit seinem Körper um die Rettung der Welt, aber du kämpfst seit jeher um seine Seele, und das ist ein weitaus schwieriger Kampf." Er legt mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter, bis er merkt, dass mein Feuer nicht brennt, dann drückt er fest zu.
"Nichts von dem kann deine Schuld sein, davon bin ich überzeugt. Du bist mehr als ein guter Golem, du bist ein guter Mensch. Sei ihm ein Vorbild."
Heiße Tränen rinnen mir vom Gesicht und schmelzen den Schnee zu meinen Füßen. "Ein guter Mensch..."
Deckard seufzt. "Und weit besser als so manche, die mit Blut in den Adern gesegnet sind. Dein Körper ist dafür egal, auch wenn ich wohl nicht alles über deine Probleme damit weiß. Möchtest du auch darüber reden?" In brüchiger Stimme lehne ich ab. "Dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Wobei sie im Zweifelsfall recht kurz sein könnte. Informierst du mich bitte, wenn die Boten eintreffen?"
"Selbstverständlich.
...hat Meister Valtores denn irgendetwas gesagt, wie die Situation bei den Nekromanten ist?"
Traurig schüttelt Deckard den Kopf. "Heute kann ich dir nicht besonders viele gute Nachrichten liefern, Dorelem. Die Art, wie ich mit manchen Vertrauten kommuniziere, erlaubt nicht die Übertragung vieler Details. Leider musst du dich gedulden."
"Das...schaffe ich auch noch", murmle ich. "Vielen Dank für alles."
"Mein Ohr ist immer für dich offen", verabschiedet er sich.


Nach leichten Anfangsschwierigkeiten habe ich die Barbaren überzeugen können, dass auch diese Form harmlos ist und ich eigentlich der einzige bin, der damit ein Problem haben sollte. So sitzen jetzt immer zwei neben mir auf einer der Bänke, die um das Stadtportal aufgestellt wurden, und wärmen sich an mir. Ich habe mit ein paar Experimenten in gebührendem Abstand festgestellt, dass ich ohne Probleme so heiß werden kann, wie es mir in reiner Feuerform möglich war, vielleicht sogar etwas mehr. Meine wabernde Flammenaura erreicht dann beinahe Weißglut. Ironischerweise kann man so mein Gesicht am besten erkennen, sonst konstrastiert das orange-rot nicht gut genug mit dem pechschwarzem Schädel.

Und Schachmatt. Man könnte fast meinen, dir läge etwas auf dem Herzen. Du spielst fürchterlich.

Reib es mir nur rein.

Sogar die Barbaren merken das, sonst müsstest du dich ja nicht dazu herablassen, dir stumm mit mir die Zeit zu vertreiben.

Die haben offenbar genug Menschenkenntnis, um zu merken, dass ich meine Ruhe will.

Benutz lieber "Empathie", das klingt weniger falsch.

Nein, das Wort habe ich schon bewusst gewählt.
Da, endlich, glüht der Wegpunkt in der bewölkten Nacht. Ich stehe auf und entschuldige mich; die beiden, die gerade neben mir sitzen durften, winken ab; sie wissen, dass ich nur hierauf gewartet habe. Leichtes Murren von denen, die als nächstes von mir Wärme gespendet bekommen sollten, verklingt in meinen Ohren, als ich sehe, wer ankommt.
Es sind Dostrian und sein Golem.

Zur Hölle, was will denn ausgerechnet der hier?

Der Blick des schwarzhaarigen Novizen trifft mich, und er zuckt zurück. Dann bemerkt er seinen Golem, scheint erneut überrascht zu sein, ruft dann aber: "Bei Rathma! Ojaled! Beschäftige ihn!" Und ich spüre, wie Schwächen auf mir landet. Der Tongolem - Ojaled - stürzt sich auf mich. Aber oh je, so unerfahren...fast automatisch benutze ich seinen Schwung gegen ihn, weiche in einer Bewegung zu Seite aus, fege seine Beine unter ihm weg und platziere meinen Fuß fest auf seiner Brust.
"Dostrian, bitte keine Sorge. Ich weiß, dass ich nicht sehr friedlich aussehe, bin aber nur der alte Dorelem."
Seine Stirn runzelt sich, aber dass ich seinen Namen kenne, muss durchgedrungen sein.
"In Ordnung, du kannst ihn in Ruhe lassen", befiehlt er.

Haha, wir hätten ihn in Sekunden zu Tonmehl verarbeiten können.

Ja, aber das wäre nicht sehr nett gewesen, nicht wahr? Ich helfe meinem kurzzeitigen Widersacher auf die Beine - dass er sich einfach zerfließen lassen könnte, um schneller wieder zu stehen ist ihm offenbar nicht gekommen. Oder er hat diese Technik einfach noch nicht gemeistert, das ist natürlich genauso möglich.
"Gratuliere zum Namen, Ojaled!", versuche ich also das Eis zu brechen.
"Vielen Dank, mein Freund", gibt er lächelnd zurück. Ich grinse zurück, so gut mir die Feuermaske das erlaubt. Es geht auch einfach.
Da erscheinen Hunradil und ein Blutgolem.

Na, wer hätte das gedacht.

Moment, heißt das etwa...
Dostrian legt sofort seine Hand auf Hunradils Schulter. "Das ist Dorelem, kein Grund zur Sorge. Nein, ich weiß auch nicht, warum unsere Golems mitgekommen sind."
"Oh", ist alles, was Hunradil dazu einfällt. Er lässt seinen Blick über mich wandern. "Verdammt, das ist ein scharfer Körper. Ob das was für dich wär?" Sein Golem erhält einen Patsch auf den Rücken. Die Antwort besteht aus einer erhobenen Augenbraue.
"Mach doch mal den Wegpunkt frei...", scheucht Dostrian. Oh nein.
Oh ja?

Oh dreimal nein.

Lixt und Golanthe erscheinen.
Lixt!


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