Ich denke, also bin ich
von Simon Salzl aka TwinYawgmoth
Teil 5 - Trang Ouls Triumph
Kapitel 04 - Feinde
Für einen Augenblick bin ich wie erstarrt. Verdammt, er weiß es! Wie ist er darauf gekommen?
Das ist jetzt egal, wobei ich mir sicher bin, dass es deine Schuld ist. Leg den Kopf schief! Tu so, als wüsstest du nicht, was er von dir will! Und um des Meisters Willen, überlass mir den Rest!
Ich folge, immer noch geschockt. Meister Valtores wird strenger. »Verstell dich nicht. Dein Meister glaubt, so viel über Golems zu wissen, als hätte er sie erfunden. Und wenn man bedenkt, von wem er es wohl gelernt hat, ist das gar nicht so unfalsch. Du willst mir nicht sagen, dass du nur ein willenloses Werkzeug bist? Dann würde er mich schwer enttäuschen.«
Appeliert an unseren Stolz auf ihn? Soll mir Recht sein, da bin ich immun. Hm ... das sollte eine sichere Geste sein.
Der Zweite zuckt mit den Schultern. Meister Valtores lächelt wie ein Raubvogel. »Zeig dich nicht unkooperativ, weil ich hier deutlich am längeren Hebel sitze.«
Er tritt einen Schritt zurück. »Weißt du, wo die Quartiere der Novizen sind?«
Nicken.
»Woher?«
Verdammt!
Was erwartet er als Antwort? Ein weiteres Schulterzucken bekommt er.
»Prinzipiell egal, Golem. Ich befehle dir, gehe dorthin und töte deinen Meister.«
Das kann nicht sein ernst sein! Zweiter, was ...
Den Gedanken hätte er sich besser überlegen sollen.
Der Zweite fährt Klauen aus den Armen aus. Nein, warte ... !
»Keine gute Idee«, spottet Valtores. Plötzlich ist sein Golem da, den ich komplett vergessen hatte, und er ist schnell. Mit ganz offensichtlich peinlichst genau einstudierten Hieben trennt er uns eine Hand ab, entzieht uns mit einem Fußfeger den Halt, und bevor der Zweite etwas tun kann, landet sein Fuß in unserer Mitte, verspritzt Ton. Geschwächt versucht der Zweite einen Angriff, scheitert kläglich, und wir werden hochgehoben, an die Wand gedrückt, und plötzlich landet eine Faust mitten in unserem Kopf, von der Brust eingeführt. Valtores hebt unseren Arm auf und wirft ihn seinem Golem zu, der ihn ohne hinzusehen auffängt und uns wieder anklebt.
»Wieder ruhig? Du bist nicht einfach zu vernichten, aber wenn mein Golem jetzt seine Finger ausstreckt, fliegt dein Kopf in alle Richtungen auseinander, und ich bin mir sicher, das genügt. Den Beweis, dass ihr beide von Anfang an versucht hat, mich zu betrügen, ist jetzt ja geliefert. Also, arbeite mit mir zusammen, weil das Schicksal deines Meisters jetzt ganz allein daran hängt, was du mir zu sagen hast. Keine Lügen mehr. Du kannst natürlich auch reden, oder?«
Verdammt, was erzählen wir ihm jetzt ... der Meister hat damit nichts zu tun, wir arbeiten auf eigene Faust, oder wir bieten ihm ein paar unwichtige Geheimnisse an, oder ...
Zweiter, aus. Er hat uns durchschaut. Hast du ihm nicht zugehört? Wenn er denkt, dass wir ihn noch einmal hinters Licht führen wollen, tötet er den Meister ohne mit der Wimper zu zucken, wie er schon die ganze Zeit vorhatte. Wir lügen ihn nicht mehr an.
»Ja, kann ich.«
»Gut«, sagt er, zufrieden, aber nicht überheblich. Der Meister hätte sich an seiner Stelle innerlich auf die Schulter geklopft für seinen scharfen Verstand, der mich enttarnte. »Wie wenig musst du mir wirklich gehorchen? Überhaupt nicht, nehme ich an?«
»Nein.« Und dann, weil ich möchte, dass er sieht, dass ich kein Interesse daran habe, mich groß zu sperren, erzähle ich ihm auch gleich, welchen Trick wir angewendet haben. Er nickt, und ich ignoriere die Proteste des Zweiten. »Unsubtil, aber effektiv. Keine neue Idee, natürlich, aber deswegen habe ich dich ja beobachten lassen.«
Wieder mustert er mich, als läge ich seziert vor ihm auf einem Labortisch. »Wenn es dennoch etwas gibt, das ich wissen sollte, dann sag es mir jetzt. Immer noch im Interesse deines Meisters.«
Ich schüttle den Kopf. »Es war nur als Rückversicherung gedacht.«
»Soso«, sagt er spitz, was er gerne tut. »Warum hast du mich gerade angegriffen?«
Weil der Zweite ein überaggressiver Soziopath ist ... mann, das würde deutlich mehr Fragen aufwerfen.
»Ihr wolltet meinen Meister töten ...«
Das reicht nicht! Sag ... äh ... du hast gemerkt, dass du ohnehin schon zu lange gezögert hast, den Befehl auszuführen, und hattest keine große Wahl.
Notgedrungen lüge ich. Valtores akzeptiert das. »Also hast du nicht grundsätzlich vor, mich zu töten?«
»Nein. Das wäre auch sehr dumm. Es war wirklich nur eine Affekthandlung und tut mir Leid.«
»Soso. Mein Golem wird dich jetzt freilassen. Ich bin gewillt, dir soweit Vertrauen zu schenken, weil ich mich gerne unter zivilen Bedingungen unterhalte. Glaub nur nicht, dass du deswegen etwas wagen kannst.«
»Fiele mir im Traum nicht ein.«
»Nicht, dass du träumen könntest.«
Das entlockt mir ein freudloses Lächeln, gut sichtbar, nachdem mein Kopf jetzt frei ist. »Oh, wenn Ihr wüsstet.«
Valtores hebt die Augenbraue, und sieht seinen Golem kurz an. Der nickt. Was die zweite Braue auch in die Höhe wandern lässt. »Siehst du, schon hat sich das Gespräch als fruchtbar erwiesen. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.«
Er legt die Fingerspitzen aufeinander. »Ihr beide bringt mich hier in eine schwierige Lage, ist dir das klar? Ich sehe ja durchaus das Potential in deinem Meister. Und er hatte überzeugende Argumente sowie ein wirklich interessantes - wenngleich höchst gefährliches - Gastgeschenk. Deswegen habe ich meine Hand für ihn ins Feuer gelegt. Und so dankt ihr es mir. Was, wenn das einer der Meister erfährt, die dafür waren, ihn gleich sang- und klanglos um die Ecke zu bringen? Unabhängig davon ... warum sollte ich das nicht selbst erledigen jetzt?«
Mit knapper Geste weist er auf den Folianten, der, zum Glück unbefleckt, auf dem Podest liegt.
»Da du ja auch offenbar nicht mit dem Buch in ständigen Kontakt sein musst - und gerade nicht bist - habt ihr zumindest in dieser Richtung kein Argument mehr, nicht wahr?«
Verdammt verdammt verdammt! Und wer ist diesmal schuld daran?
Es ist sicher nicht meine Schuld, dass er überhaupt darauf gekommen ist! Und was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen?
Nicht wie ein wilder Hammel auf ihn losgehen? Schnell antworte ich Valtores, damit die Pause nicht auffällig wird.
»Offenbar kann man Euch nicht erpressen, nein. Aber warum habt Ihr denn jetzt Interesse, Euch mit mir zu unterhalten? Wenn es keinen Grund mehr gibt, meinen Meister am Leben zu lassen, was wollt Ihr dann mit einem Golem besprechen, der die ganze Zeit schon Pläne schmieden könnte, Euch doch irgendwie zu töten?«
Nicht, dass das zumindest in meinem Fall nicht zutreffen würde, aber du weißt schon, dass es eine gewisse Grenze bei der Kooperation gibt, ja?
»Nicht, dass das der Fall wäre«, füge ich hastig hinzu.
»Soso. Nein, dafür bist du zu schlau. Was mich, gelinde gesagt, etwas überrascht. Nennen wir es zunächst rein wissenschaftliches Interesse. Wie kommt es, dass ein sicherlich nicht allzu alter Golem ein so hohes Niveau geistiger Fähigkeiten besitzt?«
Ich runzle die Stirn. »Ist das ungewöhnlich? Ich habe nicht allzuviel Vergleich. Denken wie jetzt konnte ich eigentlich seit meiner Erschaffung.«
Valtores sieht seinen eigenen Golem scharf an, der beinahe unmerklich mit dem Kopf schüttelt. Ist er etwa auch ...
»Und dein Meister hat dies erkannt und gefördert?«
»Wir hatten ein paar ... Anfangsschwierigkeiten. Aber jetzt kommen wir sehr gut miteinander aus.«
Der alte Nekromant legt die Fingerspitzen aneinander. »Du würdest also sagen, dass du mehr bist als sein Diener?«
»Er ist mein Freund«, antworte ich ohne zu zögern. Was meinen Gegenüber schnauben lässt. »Eine Aussage, für die dich manch anderer sofort vernichten wollen würde. Du magst ganz gut denken können, aber etwas naiv bist du schon.«
»Was ist mit Eurem Golem? Ich wette, er ist auch mehr als nur ein willenloses Werkzeug.«
»Ganz so dumm ist er wirklich nicht«, antwortet - der Golem. Was mich nicht wirklich überrascht. Warum sonst hätte Valtores sofort annehmen sollen, dass ich reden kann? Aber, wenn das für einen Meister kein Geheimnis ist ... wieso kann Ingkrias' Golem es dann nicht, im Gegenteil, fand es zunächst sogar verwerflich?
Es überrascht dich vielleicht nicht, aber ich muss sagen, dass er hier völlig unbekümmert unzählige Tabus auf einmal bricht, finde ich mehr als nur ein wenig seltsam. Er hat den Novizen immerhin selbst beigebracht, dass Golems keine Persönlichkeit haben - weiß es aber offensichtlich besser!
Himmel, du hast Recht. Valtores sieht seinen Golem wieder kurz an, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob in dem Blick Verärgerung liegt; wie zwischen dem Meister und mir kann der andere darin sicher unglaublich viel mehr lesen als ein Außenstehender. Dann wendet sich der Totenbeschwörer wieder an mich. »Zugegebenermaßen. Du wirst wirklich immer interessanter. Es wäre eine Schande, dich vernichten zu müssen. Meine Entscheidung ist aber noch nicht getroffen. Was wollen du und dein Meister wirklich hier?«
Wenn du jetzt die Wahrheit sagst, ist er tot.
Denkst du?
Ja, verdammt! Jetzt überlass mir das, ich hab mir schon was überlegt.
»Die Hölle hat ihn berührt. Sie haben seine Seele für sich beansprucht. Aber er hat etwas sehr Wichtiges gelernt: Sie können noch so sehr ihre Krallen nach ihm ausstrecken, aber letztlich kommt es darauf an, was er glaubt. Denn alle Seelen sind nur dort unten, weil sie tief im Inneren davon überzeugt sind, in die Hölle zu gehören. Auch auf Ewigkeit bestraft werden nur die, deren Taten besonders schwer auf ihrem Gewissen lasten. Das bedeutet, wenn er nur in der Lage wäre, aus tiefstem Herzen zu glauben, nach dem Tod als neuer Mensch wiedergeboren zu werden, zurück im Kreislauf zu landen, reingewaschen von seiner Vergangenheit, könnte er so die Hölle überlisten.«
Valtores verschränkt die Arme.
»Das klingt abstrus.«
Stimmt aber ... bis auf die Schlussfolgerung.
Ich habe von den Größten gelernt.
Es gehört schon eine Menge Pragmatismus dazu, sich den Techniken des Herrn der Lügen selbst zu bedienen. Ja, dafür bist du genau der Richtige. Red nur weiter, ich mach mir hier nicht den Mund schmutzig.
Dumm bist du nicht, aber was die Naivität angeht, hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.
»Die Idee deines Meisters, meine ich«, spricht Valtores nach kurzer Pause weiter. »Von der Theorie der Selbstverurteilung habe ich schon gehört. Sie liefert eine sehr gute Erklärung für das Paradox, dass Seelen unbestreitbar in Himmel und Hölle landen, unsere Philosophie aber zweifelsohne ebenfalls richtig ist. Habt ihr euch das selbst überlegt?«
»Einerseits, aber wir haben es mehr oder minder bestätigt bekommen, unter anderem von Azmodan.«
»Und wer sind wir, das Wort des Herrn der Sünde anzuzweifeln?«, beweist Valtores Sarkasmus von beeindruckender Trockenheit. »Aber gut, absolute Sicherheit wird hier wohl nie herrschen, ist auch nicht zu erwarten. Dennoch, dass dein Meister sich vorstellt, einfach so seinen Glauben ändern zu können ...«
»Hättet Ihr eine bessere Idee? Wir mussten Belial da unten zurücklassen, er übernimmt gerade die Macht. Er will den General als Untergebenen. Ist bereit, bis zu dessen Tod zu warten. Und ist sich sicher, dass er ihn danach für immer in seiner Macht haben wird. Der Meister hat sowohl Motivation genug, alles zu versuchen, als auch lange genug Zeit, sich gegenteilige Überzeugungen in die Seele zu brennen.«
»Das könnte wirklich ein ganzes Leben dauern. Sicherlich Jahrzehnte ständiger Arbeit an sich selbst.«
»Und wie lange wird er hier noch ausgebildet werden? Und wie lange danach werdet Ihr ihn dann noch dabehalten wollen?«
Das bringt Valtores kurz zum Überlegen. Danach wirft er ein: »Und was ist mit Baal?«
»Die Welt ist voller Helden. Soll der Himmel sich einen solchen suchen, uns hat er schwer enttäuscht. Und abgesehen davon, es ist nun nicht ohne Risiko, ein Großes Übel zu jagen. Wenn der Meister jetzt stirbt, gehört er sicher Belial. Ein wenig egoistisch denkt er da auch, aber das hat er, meiner Meinung nach, mehr als verdient.«
Unser Gesprächspartner entspannt die verschränkten Arme. »Er gibt sich also sozusagen bei uns in Klausur, seinen Körper in Geiselhaft, um seine Seele so zu formen, dass sie der Hölle entkommt.«
Er nickt. »Ein Opfer, das man respektieren kann. Ich verstehe. Und nebenbei lernt er tatsächlich noch eine Menge neuer Fertigkeiten und erweitert seine Macht. Richtig?«
Der Zweite versucht, unschuldig zu blicken. Versuchs gar nicht erst, das liegt dir nicht.
Egal. Die Spannung ist weg. Ich habe ihn.
»Na ja ... «
Valtores winkt ab. »Schon gut. Auch das ist verständlich. Solange er sich eher früher als später klar wird, dass die Suche nach Macht um der Macht Willen dem eigentlichen Sinn seines Aufenthalts hier komplett entgegen läuft.«
»Ja, die stetige Suche nach der Freiheit von Verlangen ...«
»Wenn du das schon weißt, ist der erste Schritt ja schon getan.«
»Aber«, wirft plötzlich der Blutgolem ein, »woher weißt du das eigentlich?«
Oh. Der ist auch nicht blöd.
Das ist schnell gerettet.
»Ihr hattet bei unserer ersten Begegnung etwas in dieser Richtung erwähnt.«
Valtores sieht seinen Golem an.
»Habe ich?«, fragt er. Nur kurz muss der Angesprochene überlegen. »'Etwas in dieser Richtung' trifft es ganz gut.«
»Soso. Das besprechen wir später. Dann habe ich meine Entscheidung vorerst getroffen. Dein Meister darf leben, bis auf Weiteres. Was das allerdings angeht, eine wichtige Sache. Hast du auf irgendwelche Weise Kontakt mit ihm, Golem?«
Halt! Sag es ihm nicht!
Aber ...
Unsere letzte Trumpfkarte, die verspielst du nicht!
Was, wenn es ein Test ist? Wenn er es weiß? Er weiß schon so viel!
Er weiß es nicht. Sonst hätte er nicht schon dem Meister das Leben versprochen. Wenn du es nicht über dein weiches Herz bringst, mache ich es eben, aber lüg. Ihn. An.
... dann tu du das, kann ich dich wenigstens auslachen, wenn wir daran sterben.
Der Zweite lügt. Valtores gibt uns wieder diesen Blick ... dann nickt er.
»Na schön. Solltest du hingegen doch - wider Erwarten - eine Möglichkeit finden, dann wäre es vielleicht keine schlechte Idee, ihn wissen zu lassen, dass es sehr gefährlich sein kann, seine Mitnovizen zu viel von Dingen zu erzählen, die sie eigentlich noch nicht wissen sollten. Nicht unbedingt für sie ... er scheint sich ja auf Spielereien zu beschränken ... aber für ihn. Weil nicht jeder hier meiner Meinung zu gewissen Dingen ist.«
Moment. Woher weiß er das?
Ich bin mir sicher, dass Hunradil zum Beispiel ein wenig übereifrig im Unterricht war zuletzt ... es würde schon auffallen, dass er deutlich Nachhilfe vom Meister bekommt.
Und mehr. Dass sich das nur auf 'Spielereien' beschränkt, woher soll Valtores das auch aus einem vagen Verdacht ableiten?
Sicher ...
Sicher hat ihm das jemand gesteckt. Und wenn ich welches hätte, würde ich mein ganzes Geld darauf verwetten, dass Dostrian es war. Sieht so aus, als müsste ich dich freisprechen. Es war wohl doch nicht irgendwie deine Schuld, dass wir enttarnt wurden. Diese steife Ratte hat uns verraten.
Aber ... er ist doch ein Freund ...
Es gibt wirklich diese Grenze, wo Naivität in reine Dummheit übergeht. Gratuliere, du hast sie soeben zum ich weiß nicht wievielten Mal überschritten.
»Ich werde es mir merken«, gibt der Zweite endlich Antwort. Valtores muss jetzt überklar sein, dass wir ihn belogen haben. Aber er lässt sich das zumindest nicht direkt anmerken. Um die Spannung zu zerstreuen, rede ich gleich weiter.
»Erstreckt sich diese Meinung denn auch auf die Behandlung von Golems?«
Dabei sehe ich bewusst nicht den Menschen an. Das Ziel meines Blicks grinst dünn, was mir alles sagt. Gut so, weil sich dessen Meister unkooperativ zeigt: »Ich denke, das ist nicht ein Thema, das wir heute anschneiden müssen. Zunächst werde ich mich einmal ungezwungen mit deinem Meister unterhalten müssen, und feststellen, ob er die Ziele, die du mir heute genannt hast, wirklich mit der geschilderten Hingabe verfolgt. Wenn das ein fruchtbares Gespräch wird, können wir uns gerne weiter unterhalten. Wenn nicht ... vielleicht auch.«
»Ich hoffe ...«, setzt der Zweite an, aber ich finde nicht heraus, welche leere Floskel er vorbereitet hat, weil Valtores ihn unterbricht. »Ich habe eine Aufgabe für dich. Offiziell hat dieses Gespräch natürlich nie stattgefunden, und dir ist hoffentlich klar, dass kein anderer Totenbeschwörer auch nur den Verdacht bekommen darf, dass du nicht völlig unter meine Kontrolle stehst, geschweige denn denken oder gar reden kannst? Dachte ich mir. Du wirst mit meinem Golem, der wie üblich hier die Nacht verbringen wird, die nächsten ... sagen wir, zwanzig Seiten, oder wo eben ein sinniger Schluss ist, durchlesen, von da wo ich letztes mal aufgehört habe. Schreibt ein Protokoll dafür, damit es aussieht, als hätte ich die letzte Zeit und vielleicht noch eine halbe Stunde länger damit zugebracht, hier die Geheime Kunst zu studieren. Abgesehen über dessen Inhalt werdet ihr über keine weiteren Dinge reden. Verstanden?«
Wir nicken gleichzeitig.
»Dann kommt Fratella morgen früh hoffentlich pünktlich, du wirst mich dann bei der normalen Beschwörungslektion finden«, erklärt Meister Valtores seinem Golem. »Ist jemand auf dem Gang?«
Der Blutgolem hört in die Stille hinein, dann verneint er. Sein Meister nickt und geht.
Hm. Das hätte schlechter laufen können. Ich glaube, er ist wirklich ziemlich anständig.
Warum hat er dann so viel zu verbergen?
Weil Leute wie Ingkrias das auch tun, und weniger vernünftige Ziele haben?
Als wüsstest du seine Ziele.
Er gestattet seinem Golem ein Leben. Mehr muss ich nicht wissen.
»Also, dann legen wir mal los ...«, murmele ich, als ich zur entsprechenden Seite blättere. Die leider weiter vorne liegt als die noch offene mit der Beschreibung der Seelenwanderung ... und der wahren Macht von Trang-Oul. Solange wir diesen Wachhund haben, werden wir nicht weiter lesen können. Ärgerlich! Er ist auch, erwartungsgemäß, seinem Meister treu, und blockt jegliche Kommunikationsversuche, sobald wir fertig gearbeitet haben.
Der Meister schläft wie ein Stein.
Braucht er auch, nach dem Tag. Ich bin dagegen, ihn zu wecken.
Aber morgen erfährt er es als erstes.
Das ist klar.
»Eine Partie Schach?«, frage ich unschuldig, aber Meister Valtores' Golem schaut mich nur böse an.
»Komm schon, wir reden ja über nichts. Wir spielen nur. Du darfst auch schwarz sein und anfangen.«
Seine angedeuteten Augenbrauen heben sich. Dann zuckt er mit den Schultern. »Das scheinen ja interessante Regeln zu sein, nach denen du spielst. Na schön. Ich bin schwarz ...«
Ich wusste, das schwarz nicht beginnt!
Ach, das meinte er sicher nicht ...
Wir spielen einige Partien. Kurz vor Sonnenaufgang hören wir zu spielen auf, um keine Entdeckung zu riskieren; auch, wenn wir uns die Züge nur zuflüstern, könnte es ja zufällig jemand hören, und wir wollen kein unnötiges Risiko eingehen. Bis dahin haben der Zweite und ich es zusammen geschafft, ihm immerhin zwei Remis abzuringen. Er ist gut.
Bah, ich bin nur eingerostet. Keine wirklichen Gegner bisher.
Ich gewinne gut ein Drittel gegen dich.
Weil du von mir gelernt hast! Ist es jetzt schon Morgen?
Eine Viertelstunde hat er noch, bevor wir ihn wecken sollten ...
Die werden wir brauchen, um ihm alles zu erzählen.
Ich stimme zu, also richte ich den Fokus wieder auf unseren Homunkulus-Körper in der winzigen Novizenkammer, um den Meister sanft ...
Es klopft an der Tür.
Was denn jetzt?
Ich weiß nicht, aber es ist wirklich früh. Gefällt mir gar nicht. Verdammt! Wir verstecken uns, während der Meister hochfährt, für einen Moment verschlafen die Tür anstarrt, dann das Laken hochrafft und sich so weit weg vom Eingang stellt, wie er kann.
»Herein?«
Langsam öffnet sich die Tür, und herein schleicht, verstohlen - Lixt. Der Meister lässt das Laken etwas sinken, das er wohl auf einen möglichen Angreifer geworfen hätte, dann hebt er es verlegen wieder.
»Oh. Morgen. Äh, was treibt dich hierher?«
Ich klettere auf den Tisch und begrüße sie gekünstelt fröhlich - mit ihr hier können wir dem Meister natürlich nicht erzählen, was in der Nacht passiert ist! Ernte immerhin ein ehrliches Lächeln.
»Ich wollte dich nur um etwas bitten«, haucht sie. »Ich habe heute einen Meditationstag; soll in mich gehen und versuchen, endlich einen wortlosen Zauber zu schaffen. Aber dank dir und deiner Idee mit den Runenwörtern hab ich das schon! Nur muss ich jetzt natürlich trotzdem den Tag einsam herumsitzen und darf erst heute Abend die frohe Botschaft verkünden ...«
So viel habe ich sie noch gar nicht auf einmal reden hören. Der Meister blickt etwas hilflos drein.
»Das tut mir Leid für dich. Äh, aber ich kann dir nicht wirklich Gesellschaft leisten oder so, heute wird ein langer Tag ...«
Sie kichert ganz kurz und glockenhell. »Ach, Nef, das wollte ich doch gar nicht ... nicht, dass es schlimm wäre, oder so ...«
Von einen Kopf kleiner sieht sie ihn breit grinsend an. »Nein, ich hätte gehofft, dass mir dein Golem gegen die Langeweile helfen könnte!«
Der Meister sieht mich an, mit plötzlich aufkeimender Panik im Blick.
»Äh, der Golem ...«, stammelt er, aber sie redet hastig weiter.
»Er kann ja schreiben, nicht? Dann könnte ich mich so mit ihm unterhalten. Papier hab ich genug. Ach, bitte. Ich sterbe sonst so ganz allein!«
Von mir zu ihr wandern die Augen des Meisters. Lixts sind zum Glück gerade ganz groß und auf ihren Mitnovizen gerichtet, sodass ich heftig den Kopf schütteln kann. Aber ich weiß schon, dass er gerade nicht daran denkt, dass ich ihm vielleicht etwas Wichtiges zu sagen habe. Sondern daran, dass er mit fliegenden Fahnen durch das Fluchtestat fallen wird, wenn ich ihm nicht einflüstere. Oder dass Lixt verdammt süß aussehen kann, wenn sie das will. Und sie ihn vielleicht auch gerade an eine andere kurzhaarige Frau erinnert.
»Hm. Ja«, bringt er schließlich hervor. »Das wollen wir natürlich ... nicht. In Ordnung. Für heute. Niemand darf ihn sehen. Ich weiß nicht, wann ich fertig bin, kleb ihn vielleicht einfach gegen meine Tür dann.«
»Oh super, du bist ein Schatz!«, quiekt sie und umarmt ihn kurz. Ihm fliegen fast die Augen aus dem Kopf. Der Arme. Aber wenn er wüsste, wie ungünstig das jetzt wirklich ist ...
Dann muss er es heute Abend erfahren ... dennoch, alles andere als gut. Wir hätten ihn doch wecken sollen!
Da waren wir uns ausnahmsweise einmal einig, das kannst du nicht auf mich schieben.
»Ich passe auf, ganz ehrlich«, versichert sie ihn, der sich abwesend das Bettlaken glättet. Ihr Hand landet neben mir. »Ist das auch in Ordnung für dich, hm?«
Was soll ich tun? Alles andere außer enthusiastischem Nicken würde endlose und für alle Seiten wenig befriedigende Erklärungen erfordern. Also tue ich es, und sie grinst mich an, fordert mich zum Aufsteigen an und steckt mich dann sanft in eine Tasche.
»Viel Erfolg heute!«, flüstert sie dann im Gehen, nachdem sie schnell nachgesehen hat, ob der Gang frei ist; vermutlich würde es ein paar Augenbrauen heben, wenn eine weibliche Novizin frühmorgens aus dem Zimmer eines männlichen kommt ...
Kurz darauf, in mein Schicksal gefügt - und auf der Habenseite wird mir wenigstens auch nicht langweilig bei Ingkrias' fürchterlich trockenem Fluchunterricht - kommen wir in Lixts Zimmer an. Es ist quasi nicht von dem des Meisters zu unterscheiden, und entgegen einer seltsamen Erwartung, die ich hatte, besitzt sie ebenfalls keinen Spiegel. Warum auch? Sie schließt die Tür fest hinter sich; es ist stockdunkel, aber sie weiß genau, wo alles ist. Ihr Golem, in einer Ecke wartend, ist keinen Zentimeter größer als sie; ich denke aber nicht, dass sie andernfalls paradoxe Neidgefühle entwickeln würde. Nein, so oft Hunradil auch versucht, sie damit aufzuziehen, Lixt hat absolut keine Probleme damit, sogar für eine junge Frau ziemlich klein zu sein, sie sieht das als Vorteil. Ungefragt setzt sich ihr Golem nun in Bewegung, um die Öllampe anzuzünden; Lixt hört die Bewegung und hebt eine Hand. »Gerade nicht, Golanthe. Muss ja noch für den ganzen Tag reichen.«
Obwohl wir Golems prinzipiell natürlich kein Geschlecht haben, würde ich jeden Golem eines weiblichen Totenbeschwörers auch instinktiv als 'weiblich' betrachten. Lixt geht noch weiter und hat ihr sogar einen Namen gegeben. Sie weiß, dass er nicht besonders einfallsreich ist, verteidigt sich aber damit, dass es zumindest nicht 'Gola' ist - ihr erster Einfall - und meint, dass es eigentlich logisch ist, wie sonst soll man seinen eigenen Golem aus einer Menge rufen? Dass der oder die entsprechende den jeweiligen Meister sicher an der Stimme erkennen würde, ist ein Argument, das bei Lixt auf taube Ohren stößt.
»Nun guck mal, ich hab jemanden mitgebracht«, teilt sie Golanthe mit und hebt mich auf den Tisch. »Ich dachte, das ist am besten so.«
Huh?
Auch ihr Golem wirkt recht überrascht ... oder ist es etwas anderes? Fast wäre mir die Frage herausgerutscht, was sie damit meint. So bin ich dankbar, dass sie mich ohnehin nicht sehen kann, sonst müsste mir überlegen, wie ich reagiere.
Die Golem-Tante kann uns sehen.
Wie spaßig, bist du ganz allein auf den Witz gekommen? Aber ja, du hast Recht, wirkt das höflich verwirrt genug.
Du bist ein geborener Mime.
»Sooo, Golem ... ich würde gerne über ein paar Dinge mit dir reden«, beginnt Lixt. Sie blickt kurz nach Worten suchen an die niedrige Decke. »Ja ... und Golanthe sicher auch.«
Oh.
Oh-oh.
»Du hast die Arme ganz schön verwirrt. Mensch, das klingt komisch. Aber wie soll ich es sonst ausdrücken? Ich hatte ja schon die ganze Zeit Bammel, dass ich etwas fürchterlich falsch gemacht hätte bei ihrer Beschwörung, beim Gehorsam-Zaubern. Diese kleinen Momente. Aber neulich, vor drei Tagen war das, nein, da muss ich sie nur ansehen, und irgendwas ist anders, ganz sicher, es geht ihr schlecht und das sollte so nicht sein.«
Sie beugt sich zu mir, mit großer Ernsthaftigkeit in den Augen. »Verbringe ich Stunden, um irgendwie das Problem herauszufinden. Ich weiß nicht, hätte ich Angst haben sollen? Weil sie mir vielleicht gar nicht perfekt gehorcht, gleich wahnsinnig werden könnte und mich umzubringen versuchen? Hab ich überhaupt nicht drangedacht. Sie hat mir nur Leid getan.«
In ihr stecken ja unglaublich viele Worte, wenn man sie mal privat erwischt.
Ha, und sie hatte mich fast soweit, dass ich es ihr abnehme. Die Stillen, die die Gefährlichen sind, genau. Sie verstellt sich nur. Nutzt ihre Größe und sagt nie was, um nicht aufzufallen. In Wirklichkeit redet sie extrem gerne.
Und dieses Verstellen, dass sie das die ganze Zeit sogar vor ihren Freunden durchzieht, das macht sie harmlos im Vergleich zu jemand, der vielleicht nur introvertiert ist?
Nein, ich meine damit, sie ist nicht gefährlich, sondern tödlich.
Vielleicht finden wir auch heraus, warum sie es tut, und es ist völlig harmlos.
Ununterbrochen sprudelt Lixt weiter. »Dass das auch ein komischer Gedanke war, ist mir auch nicht gekommen. Da hast sicher du mir geholfen. Immerhin hast du ja auch eine Persönlichkeit, und wenn es dir einmal schlecht geht, sorgt sich Nef ja auch garantiert um dich, oder?«
Sie lächelt in die Dunkelheit. »Kneif mir einfach in den Daumen für ja, in den Zeigefinger für nein.« Na schön, ich kneife, Daumen, fest.
»Au! Ja, dachte ich mir. Ein ganz netter Kerl, dein Meister, die alten Weißköpfe spinnen doch, aber sags ihnen nicht ... oh, und ihm auch nicht«, kichert sie. Dafür bekommt sie ein sanfteres Kneifen.
»Aber zurück zu Golanthe! Ich hab nicht locker gelassen, und endlich bring ich sie dazu, ein wenig aus ihr herauszugehen. Gibt sie endlich zu, dass sie schreiben kann, und legt mir ein paar saubere Druckbuchstaben aufs Papier. Hat mich jetzt doch ein wenig überrascht. Ein wenig dann auch Angst gemacht. Aber irgendwie hat es mich auch gefreut, weil ich endlich wusste, in Ordnung, mein Fehler, sie hat freien Willen, und es tut mir unendlich Leid, aber das Kind ist in den Brunnen gefallen ...«
Sie sammelt sich kurz. »Dann ging es relativ schnell, aber so viel Freizeit hab ich jetzt auch wieder nicht, und ich will ja auch noch was lernen, nicht, dass es mir nicht wichtig gewesen wäre, im Gegenteil, aber ich musste ja ohnehin auf eine Gelegenheit warten, und jetzt ist sie hier, na ja ...«
Jetzt kommts.
»Stimmt es also, dass du wirklich sprechen kannst?«
Ich hoffe, du hast nichts dagegen?
Der Auftrag des Meisters lief so oder so auf diesen Moment heraus, ich bin mir nur sicher, dass er das gerne in der Runde groß aufgedeckt hätte. Aber ja, sag es ihr. Sie scheint auf bestem Weg, dass wir ihren Golem auch bald zum Reden bringen, und dann geht es erst richtig los.
Ja, für den Plan bin ich wirklich stolz auf den General ...
»Ja, das ist richtig.«
Sie gibt ein spitzes Quieken von sich. »Wahnsinn! Du hast ja seine Stimme!«
Ich zucke mit den Schultern ... was sie nicht sieht. »Schien mir am einfachsten«, sage ich also. »Kann ich mir aussuchen«, fahre ich in ihrer Stimme fort. Das bringt sie zum Kichern. »Das ist ja lustig! Unglaublich ... Moment, sollte das ich sein?«
»Ja?«
»Klingt ja gar nicht so übel, wie ich dachte. Mensch, ist das irre. Rede ich mit einem Golem, der meine Stimme nachmachen kann.«
»Ich kann auch wieder normal sprechen«, beschwichtige ich hastig. Sie lächelt. »Ist wahrscheinlich besser. Himmel. Wie hat Nef das geschafft?«
»Das sagt er dir am besten selbst, denke ich ...«
»Hast du Recht.« Sie fasst sich an die Nasenspitze. »Also hast du wirklich mit Golanthe gesprochen und sie komplett aus dem Konzept gebracht. Ich war mir ungefähr einen Tag lang nicht sicher, ob ich dafür nicht verdammt böse sein sollte auf dich und Nef, oder war das nur deine Idee?«
Statt zu antworten, kneife ich ihren Zeigefinger, was sie offenbar amüsiert. »Ha, natürlich. Aber mir ist dann ... klar geworden, dass du nicht diese ... nennen wir es ruhig weiter Verwirrung ... in ihr hättest wecken können, wenn sie von vorneherein willenlos gewesen wäre. Wie gesagt, da muss ich wirklich Unfug gebaut haben!«
Wieder findet meine kleine Hand die Kuppe ihres Zeigefingers. »Lixt, ich denke nicht, dass es auch nur einen Golem auf der ganzen Welt gibt, der nicht zumindest einen Funken Persönlichkeit in sich trägt, wenn auch begraben unter Jahren der bedingungslosen Knechtschaft.«
Das lässt sie ganz traurig blicken. »Das wäre ja fürchterlich. Aber natürlich denkst du das, Nef ist ja der gleichen Überzeugung. Ich weiß nur nicht, ob euer Beispiel gleich zeigt, dass alles falsch ist, was die Meister uns beibringen!«
Ich überlege kurz, ob ich das preisgeben soll, dann ohrfeige ich mich innerlich. Ich fange schon an, wie der Zweite zu denken. Lixt ist doch niemand, vor dem ich bewusst Informationen fernhalten sollte, um dann später damit Vorteile erpressen zu können oder so etwas. Dieses ständige Lügen und Betrügen ist nicht mal ansatzweise etwas für mich.
Als ob du eine Wahl hättest.
»Glaubst du, dass Dostrian einen Fehler machen würde beim Beschwören seines Golems?«, frage ich sie also. Lixt hebt theatralisch eine Augenbraue. »Der? Er ist ein schlimmerer Streber als ich. Er wird die Sache schon Wochen vorher minutiös geübt haben, wieder und wieder. Und sein HelKoThulEthFal natürlich auch.«
»Sein Golem hat aber eine Persönlichkeit, Lixt. Ich habe vor diesen drei Tagen mit Golanthe und ihm gleichzeitig geredet, am Eingang zur Halle, erinnerst du dich?«
Ihre Augen weiten sich. »Dostrians Golem? Niemals. Woran machst du das fest?«
Hm ...
Sag es, sag es. Das könnte köstlich werden.
Überzeugt mich nicht wirklich, aber Lixt immerhin sicher. »Dostrian ist doch so stolz darauf, dass er seinen Golem nur mit Gedanken befehlen kann ... stimmt gar nicht. Der macht das freiwillig, weil er seinen Meister so gut unterstützen möchte, wie er kann. Habe ich vermutet, und er hat mir zugestimmt.«
»Ich glaubs nicht.« Sie lässt sich in ihrem Stuhl zurückfallen. »Wenn ich ihm das sage ...«
Zeigefinger. »Ah! Gut, vielleicht behalte ich es erst einmal für mich. Bei Licht betrachtet wäre es auch ein klein wenig gemein ...«
»Sehr gemein.«
»Hm, ja. Er ist doch so stolz darauf. Ha! Jetzt belehrt mich ein Golem, was anständig ist und was nicht. Aber weißt du was? Mich kann heute auch nichts mehr schocken. Hast du eben das Herz am rechten Fleck. Und wenn es noch so aus Ton ist.«
Sie stupst mich an, Hüfte statt Brust, es ist ja immer noch dunkel, aber ich weiß schon, wie es gemeint war. Ein warmes Gefühl breitet sich von ihrem Ziel aus.
Lixt setzt sich jetzt wieder näher an den Tisch. »Jetzt wäre ein wenig Licht nicht schlecht, glaube ich. Wärst du so gut?«, fragt sie Golanthe, welche der Bitte nachkommt. Im schummrigen Schein der Öllampe stützt sich die junge Novizin auf die Ellenbogen und legt das Kinn in die zarten Hände, um auf Augenhöhe mit mir zu reden.
»Ich habe leider keinen zweiten Stuhl für dich, meine Liebe ... aber fühl dich mit eingebunden, ja? Also, Golem ... hm, nein, das ist nicht in Ordnung. Wie nenne ich dich?«
»Golem nicht gut?«, kann ich darauf nur lahm zurückfragen. Sie schüttelt vehement den Kopf.
»Erst hat Nef keinen wirklichen Namen, dann du nicht, was ist denn mit euch los. Du bist - he, langsam gewöhne ich mich daran - eine echte, eigene Person, ich werde dich doch nicht weiter 'Golem' nennen ... hm ...«
Von Kopf bis Fuß erfüllt mich kribbelnde Spannung. Was ist los - es ist doch nur ein Name ... oder freut es mich wirklich so sehr, dass sie fast sofort akzeptiert hat, dass ich ich bin, und nicht 'nur' ein Golem? Mehr noch als der Meister?
Sie schlägt frustriert mit der Faust auf den Tisch, ich bin fast versucht auszuweichen. »Verdammt, ich bin grauenvoll mit Namen. Es gibt keine guten männlichen, die mit Go- anfangen, und sonst fallen mir einfach keine ein.«
Ich bin gleichzeitig enttäuscht und erleichtert. Was wäre gewesen, wenn ich ihren Namen schlecht gefunden hätte? Könnte mich überhaupt ein Wort denn plötzlich beschreiben, nachdem ich so lange einfach nur 'Golem' war? Sanft tätschle ich ihren Finger. »Ist nicht so schlimm. Bleib doch derweil einfach bei 'Golem'. Es stört mich wirklich nicht.«
Ihre Augen bekommen ein Funkeln. »Sicher komme ich noch auf was Gutes, warte nur!«, flüstert sie aufgeregt. »Aber genug erst mal. Erzähl mir von dir, und Golanthe auch! Ich glaube, sie interessiert es wahrscheinlich mehr als mich ... und sie mag dich wirklich!«
Ich sehe den stummen Golem der privat so energetischen Frau an. Ihr Tonkopf nickt eindringlich, und die kruden Lippen formen ein Lächeln. Irgendwie ... ist mir das unangenehm.
Haha, jetzt weißt du, wie der Meister sich fühlt, wenn Lixt ihn anhimmelt.
Aus meiner Verwirrung heraus handle ich exakt falsch, um sie zu bekämpfen: ich beginne, zu reden. »Äh ... freut mich ... wirklich! Aber, was ... wollt ihr denn genau hören?«
Lixt sieht ihren Golen an, dann wieder zu mir und zuckt die Schultern. »Wie war es denn, als du erschaffen wurdest, war dir gleich klar, dass du einen eigenen Willen hast?«
»Nun ...«, beginne ich, und verliere mich nahezu sofort in meinen Worten. Noch nie hatte ich Gelegenheit, jemanden meine Geschichte zu erzählen, und schon gar nicht einer Zuhörerin wie Golanthe, für die es persönlich sehr wichtig sein muss. Meine Geburt ... die sofortige Ergebenheit dem Meister gegenüber, aber diese ständig nagende Stimme des Zweifels, die, wie ich jetzt weiß, der Zweite war.
Nein.
Was?
Warum sollte ich dir Rebellion einflüstern? Das widerspricht allem, woran ich glaube, und das weißt du.
Für einen Moment stockt meine Erzählung, gerade, als ich schildere, wie das Gefühl unbegrenzter Macht von der Erde um den Inifuss-Baum mich die Kontrolle verlieren ließ. Das warst nicht du? Aber warum auch? Du hast Recht, passt überhaupt nicht zu dir.
»War das eine so schlimme Sache für dich?«, fragt Lixt besorgt. Ich fange mich wieder. »Nun ... auch, wenn es nur verrückt gewordene Monster waren, es hat mich trotzdem angewidert, was ich, übermächtig, mit dem fliehenden Baumkopf Holzfaust und seinen Dienern angestellt habe. Das wollte ich nicht sein, eine grausame Mordmaschine, ich hatte es immer gewusst, aber in diesem Moment wurde es mir überdeutlich klar ...«
Und so rede ich weiter. Die späte Erkenntnis des Meisters, dass ich tatsächlich denken und fühlen kann. Seine langsame Akzeptanz des Faktes, und wie er mich als Ansprechpartner und Stütze gewann. Meine Überzeugung, dass was ich besitze echtes Leben ist, nicht weniger wert als das eines Menschen. Der schreckliche Kampf gegen Andariel, Kaschyas Tod, und mein eigener, endgültig geglaubter. Die freudige Wiedererweckung, als reiner Zufall, gerade als der Meister seinem Leben ein Ende setzen wollte. Unser gemeinsamer Weg zurück zu seinen Wurzeln, durch ein Band des Blutes gezwungen, unser Leid zu teilen, mehr aufeinander aufzupassen. Das Geschenk der Sprache. Der Fluch des Gehorsams. Höhen und Tiefen unserer Beziehung in Krieg und Frieden, Katzen, Würmer, Schlangen, bis wir einander eingestehen mussten, dass uns mehr verbindet als ein Verhältnis von Meister zu Diener. Ich verschweige seine Sünden, die Morde an Kaelan und Griez, den Verlust Prathams durch seinen Übereifer. Grundsätzlich bemüht der Zweite sich sehr, dass ich nicht zu viel über den Meister preisgebe. Soll mir Recht sein; es geht hier nur um mich. Diesen Egoismus erlaube ich mir.
Duriel fällt. Ich spüre mit dem Meister die Verbitterung über die verwehrte Anerkennung, als Baals Flucht offenkundig wird. Die Ankunft in Kurast, die Niederlage durch Diablo, verlorene Wochen, die schwere Zeit als gefühllose Metallhülle, mit dem Meister im Fieber. Natalya bleibt unser Geheimnis. Oder sollte ich Lixt doch von ihr erzählen, damit der Meister sich nicht mehr so unwohl fühlen muss, wenn die Mitnovizin ihm Komplimente macht?
Das lässt du schön bleiben, und nicht nur, weil ich es köstlich finde.
Na gut. Der verfluchte Dschungel. Ein gemeinsamer, nicht näher benannter 'Freund'. Blindes Vertrauen zueinander, das uns den Hass überwinden lässt, der andere zerfrisst. Verrat durch Isenhart. Marius, der irgendwie an allem schuld ist. Der Triumph über Mephisto. Danach gibt es nicht mehr viel zu sagen; wir waren in der Hölle. Wir haben unzählige Dämonen getötet. Ich erwähne die Feuerform am Rande, ein letztlich gescheitertes Experiment; der Meister und ich hatten unsere Meinungsverschiedenheiten, aber wir halten zusammen, nach allem, was wir erlebt haben. Zu viel, was im Inferno passiert ist, ist persönlich. Ich ende mit unserer Ankunft in den Hallen von Rathma.
Ah, endlich fertig? Du solltest dir ansehen, wie sich Fratella fleißig Notizen über die Giftexplosion macht, eine selten nutzlose Technik. Ist spannender als dein Gerede.
»Du hattest wirklich ein unglaubliches Leben, Golem. Und ich denke, das kann man gerne so nennen. Die paar Monate, und schon hast du mehr erlebt und weit mehr erreicht, als ich in diesem dunklen Loch je erhoffen würde ... aber was bin ich pessimistisch? Du bist eine Inspiration. Wenn ich vollwertige Nekromantin bin, werde ich von hier abhauen und nie wieder zurückkommen. Das wollte ich die ganze Zeit schon, aber du hast mir den Plan bestätigt. Ich will die Welt sehen! Ich will meine Gabe nutzen, den 'gesegneten Fluch', ha, wo ist da der Fluch? Wir könnten mehr Selbstvertrauen vertragen.«
Ich erwidere ihr glühendes Lächeln mit Inbrunst. »Weißt du, es freut mich unglaublich, dass du nicht in Mitgefühlsbekundungen ausbrichst. Ich bin insgesamt sehr zufrieden damit, wie mein Leben verlaufen ist - und es steht nur am Anfang.« Und weil mir das erst neulich so richtig klar geworden ist, rede ich gleich weiter. »Ich weiß auch schon, was ich damit machen will, wenn das hier vorbei ist. Für immer will ich nicht an den General gekettet sein - tut mir Leid, für mich wird er immer so heißen - ich möchte auch hinaus in die Welt, und Diener aller Menschen sein. Friedlich. Ich verstehe, dass das Kämpfen notwendig ist, aber ich hab es so satt.«
Sie packt mich plötzlich an beiden Schultern, hebt mich zu sich hoch und drückt mir einen dicken Kuss auf den Tonkopf.
Igitt.
Was, wie, wo?
»Tut mir Leid«, kichert sie. »Ich hab mir nur gerade gedacht, du solltest mein Golem werden, dann könnten wir gemeinsam auf Reise gehen ... aber das ist dumm, du willst ja niemandes Golem mehr sein ... «
Ein peinliches Schweigen legt sich über den Raum, während dessen sie mich wieder absetzt. Ich weiß nicht recht, was ich zu diesem Ausbruch sagen soll.
»Dorelem«, sagt sie plötzlich.
»Verzeihung?«
»DolOrtEldLem. Leidenschaft. Dein Name sollte auf diesem Wort basieren.«
Dorelem ...
Du solltest dich Dolor nennen, das heißt nur 'Leiden'.
Ich spreche es laut aus. »Dorelem ... «
Sie beißt sich auf die Unterlippe. »Gefällt es dir nicht?«
Langsam blüht ein Lächeln auf meinen Lippen. »Er ist perfekt.«
Wir teilen unser Strahlen. Ich weiß nicht, warum ich mich so gut fühle. Es ist doch nur ein Wort ...
Wieder zieht sich das Schweigen.
Das ist ja nicht auszuhalten hier. Wie wärs, wenn du Schluss machst? Es ist schon spät, bald sollte der Meister zurück kommen.
Oh. Ja. »Nun, ich ... muss mich erst einmal daran gewöhnen ... denke ich. Weißt du, es hat mir echt Spaß gemacht, mit dir zu reden, gerne noch mal, aber ... ich glaube, der General möchte mich bald zurück haben ...«
»Ach, verdammt, ist es schon so spät?«, stößt Lixt hervor. Golanthe nickt. Ich wende mich an sie. »Ich denke, du bist dir ziemlich sicher, dass du auch reden lernen möchtest, oder? Und du hast sicher auch nichts dagegen, Lixt?«
»Selbstverständlich nicht! Ich würde mich zu gerne mit ihr unterhalten!«, antwortet sie ohne zu zögern.
»Dann machen wir das doch so: Golanthe bringt mich zur Tür des Generals, das ist unauffälliger so, als wenn du das machst; und er kann sie sich dann gleich kurz ansehen, ob er euch dabei helfen kann.«
Lixt faltet dankbar die Hände. »Ja, das ist eine großartige Idee! Machst du das, meine Liebe? Wenn er meint, dass das klappen könnte, treffe ich mich gleich morgen wieder mit ihm, wenn ich hier rausdarf, und wir verbessern dich!«
Ihr Golem nickt, so tief, dass es quasi schon eine Verbeugung ist, nimmt mich hoch, ich zerfließe auf ihrer Schulter und sie geht los.
Leider können wir uns nicht wirklich unterhalten, da ständiges Notizenschreiben von ihrer Seite doch etwas auffällig wäre, also müssen wir stumm vor der Tür stehen bleiben. Einige Skelettgruppen auf Patrouille kommen vorbei, und mehrere Novizen, aber sie beachten Golanthe gar nicht. Für die meisten hier ist ein Golem komplett unsichtbar - wahrscheinlich sogar ihr eigener. Eine Schande.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, wo doch der ganze Tag bisher so schnell vorbei ging, kommt der Meister angetrottet. Er sieht meine Trägerin von oben bis unten an. »Golanthe?«
Ich blicke mich kurz um - niemand ist in der Nähe - und kann mir einen Scherz deswegen nicht verkneifen. »Gut erkannt«, sage ich - mit Lixts Stimme.
Der Meister reagiert wie erhofft: überrascht und ein wenig erschreckt. Dann grinst er breit. »Ach, Golem.«
»Haha, reingefallen«, feixe ich, mein Körperchen formend. »Wobei wir wegen der Anrede noch reden müssen.«
»Hm?«
»Machen wir das drinnen, vielleicht?«, gebe ich zu bedenken, demonstrativ in beide Richtungen sehend. Er nickt, stößt die Tür auf und weist nach drinnen. »Nach dir.«
In dem kleinen Zimmer stellt sich Golanthe sofort in die Ecke, wo sie bei Lixt auch immer steht.
Moment. Woher hat der Meister denn das Skelett?
Oh? Nachdem ich außer in letzter Zeit eigentlich immer von diesen umgeben war, gerade auch wo immer der Meister schlief, ist mir das gar nicht aufgefallen. Aber natürlich, er darf doch sicher nicht einfach so eines hier beschwören ...
... und es trägt einen Dolch.
»Pass auf!«, rufe ich, und der Meister reagiert sofort, lange gewohnt, blind auf meine Warnungen zu hören. Er ist schon durch die Tür; er springt zur Seite, und das Skelett wirft sie hinter ihm zu, bis jetzt außer seiner Sicht zwischen Holz und Wand verborgen. Die herabstechende Waffe geht gerade so daneben. Ein Attentat! Und ich kann nichts tun - als winziger Homunkulus ...
Versuch es wenigstens!
Ich brauche dazu keine große Aufforderung, springe von Golanthe herunter, während der Meister schnell nach dem kleinen Tisch in der Raummitte greift, ihn dem Angreifer in den Weg wirft. Plötzlich sehe ich für einen Moment nicht, was passiert; eine Erdsäule blockiert meine Sicht ... Golanthes Bein. Sie stürmt vor, wirft sich auf das verdutzte Skelett. Der Tongolem packt es am Kopf ... was die falsche Entscheidung ist. Die Arme des Gegners sind völlig frei, und so stößt es den Dolch in den Körper von Lixts Partnerin. Was nichts ausmachen würde ... aber ich habe die Waffe schon erkannt. Es ist das Jade-Tan-Do, verdammt, wie kommt das in die Hände von jemand, der den Meister tot sehen will?
Golanthe erstarrt, zittert, und ich sehe, wie an ihrem Rücken ein schwarzer Fleck erscheint, der schnell größer wird, als sich die zersetzende Wirkung des Kris' ausbreitet. Ich bin immer noch weit, weit, weg ... aber wenigstens meine Stimme wird sie erreichen.
»Gib dich auf, lass dich zerfallen! Rette deine Seele!«
Es dauert eine schmerzhaft lange Sekunde, dann hört sie auf mich - hoffentlich war es das, und nicht die Wirkung des Giftes. Der Tonkörper zerfällt zu trockenem Staub. Jetzt ist das Skelett frei, den Meister anzugreifen ...
Dessen Hand packt die Nackenwirbel des Angreifers.
»Vergiss es ganz einfach«, zischt er zwischen den Zähnen hervor. Und mit einem Schnappen bricht er das dünne Genick, unterstützt von Verstärktem Schaden und der versteckten Stärke, die in ihm schlummert, seit er Alkors Trank zu sich nahm. Die Staubwolke, welche gerade noch aus Knochen bestand, sinkt zu Boden. Und in ihr, bisher versteckt in der waffenlosen Faust des Skeletts, flattert ein beschriebener Zettel.
Hinter der auf seinen Mund gepressten Hand atmet der Meister schwer und hält diese Pose für eine Weile, ganz leicht zitternd. Wir wurden schon oft angegriffen, einige Male verraten, aber ich verstehe seinen Schock. Wir sollten hier sicher sein, verdammt.
Nichts ist sicher. Ich hab es dir hundertmal gesagt, das hier ist ein Intrigenpfuhl!
»Verdammt!«, ruft der Meister schließlich, und tritt das Jade-Tan-Do in eine Ecke. Dann sieht er mich hilflos an.
»Was sage ich jetzt Lixt?«
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