Ich denke, also bin ich
von Simon Salzl aka TwinYawgmoth
Teil 5 - Trang Ouls Triumph
Kapitel 31 - Gefühlsentscheidungen
Der Meister watet pfeifend durch einen See aus Blut auf mich zu. Ich schüttle es mir von den Klauen.
"Das war nicht notwendig."
"Aber natürlich war es das. Denkst du wirklich, er hätte uns in Frieden ziehen lassen? Abgelenkt hast du ihn gut. Jetzt mach mich sauber."
Der Zweite übernimmt dafür, lässt die Flammen um unsere Hände sanft hochzüngeln und brennt dem Meister die Rüstung frei von den Leichenteilen der gesprengten Monster.
"Können wir vielleicht wenigstens unsere Prioritäten etwas anpassen?", protestiere ich. "Wir müssen Anya retten!"
"Wir habens ja gleich", brummt der Meister, lässt den Zweiten auf noch die Stiefel erledigen, dann schreitet er zu dem Eisstalagmiten, in dem Anya hilflos eingefroren ist.
"Du hast schon ein Stück davon weggesprengt. Geht da noch mehr?"
Ich lege meine Hand so, als würde ich Anyas Wange streicheln, aber die ist Zentimeter tiefer. Erhöhe die Hitze erst vorsichtig, dann stark. Es hilft nicht.
"Das Eis ist magisch verstärkt! Die Hitze war es nicht, die es zerstört hat - wenn, dann die Explosion!"
"Hm, das ist aber reichlich unsicher. Wobei, die Kadaverexplosionen haben ihr offenbar auch nicht wirklich geschadet..."
"Ja, aber bei denen warst du ja auch vorsichtig?"
Ich will nicht, dass es wie eine Frage klingt. Tut es aber. Und erhält keine Antwort.
"Nun, da können wir wohl erst mal nichts machen. Lass uns weiter gehen, Malah weiß ja, wo sie suchen muss, um Anya abzuholen", sagt er stattdessen. Ich fahre zu ihm herum.
"Ich glaub, ich spinne? Wir sind hier seit einer Minute - willst du nicht noch wenigstens ein bisschen über mögliche andere Lösungen nachdenken?"
"Zeit ist Weltrettung, Dorelem...", zuckt er mit den Schultern - und dreht sich weg.
Meine Hand schießt vor und packt ihn am Kragen. Bald darauf ist er Angesicht zu Angesicht mit mir.
Plötzlich fangen meine Finger an zu brennen, als wären sie in Säure getaucht. Seine Miene ist eine hässliche Grimasse.
"Lass mich los!"
Stattdessen packe ich ihn auch mit der anderen Hand, die ebenfalls zu brennen anfängt. Mein ganzer Körper wird von Wellen des Schmerzes durchzogen. Also rede ich schneller, während die Krämpfe mich schütteln. Das spürt er, den Druck meiner gespannten Finger. Vielleicht lässt er die Kontrolle deshalb etwas gleiten, vielleicht ist das der einzige Grund, warum ich mich nicht auflöse, der Schwärze, die an den Rändern meines Gesichtsfeld eindringt, nachgebe. Vielleicht kommt doch etwas von dem, was ich sage, zu ihm durch.
"Du bleibst so lange hier, bis du etwas unternommen hast, um Anya zu helfen! Ich habe genug von deinem Wahnsinn - ruf dir zumindest für einen Moment ins Gedächtnis, wer du eigentlich bist! Ohne diese verfluchte Rüstung würdest du keine Sekunde zögern, alles zu tun, sie hieraus zu befreien! General! Wach auf! Sonst muss ich das für dich tun!"
Seine Grimasse gewinnt an Hohn dazu. "Und wie würdest du das...?"
Meine Ohrfeige fegt ihm jeden Ausdruck aus dem Gesicht.
Bist du vollkommen...
Versuch doch, mich aufzuhalten! Versuch doch, deine Kontrolle über mich zu gewinnen! "Ihr dreckigen Verräter an der Menschlichkeit des Generals! Es reicht mir - lasst mich meinetwegen für immer in Säure baden oder bringt mich gleich um, und den Zweiten gleich mit, ich spiele nicht mehr mit!"
Ich merke gar nicht genau, wann ich anfange, laut zu sprechen.
Da landet die Faust des Generals in mir. Seine Finger schließen sich um meine Wirbelsäule, völlig unbeeindruckt ist sein Arm von dem Feuer, das herumzüngelt, keinen Widerstand bietet der Ton.
"Ich könnte dich zerreißen", flüstert er.
Der Schmerz hat aufgehört, aber nur der körperliche. In mir blüht er noch viel stärker auf. Ist es das, das Ende? Ich schäme mich...nicht, weil ich es gewagt habe, ihn anzugreifen, gegen ihn aufzustehen. Sondern weil ich die Kontrolle verloren habe, obwohl ich sie doch glaubte, gegen die Beherrschung und den Zweiten gleichzeitig zu behaupten. Wir waren fast am Ende unserer Reise, der Gipfel der Arreat ist nicht weit - und jetzt opfere ich mich in diesem sinnlosen Ausbruch? Wenn ich noch ein wenig länger durchgehalten hätte, es ein wenig länger ertragen, ein Sklave zu sein...dann hätten wir gemeinsam Baal besiegt, und er hätte nach dem Sieg Trang-Ouls Avatar ablegen können, und das Teufelsset vernichten.
Und das habe ich hingeworfen, für was?
Für Anya?
Ist sie das nicht wert?
Was denke ich? Natürlich ist sie das. Wie hätte ich mit mir leben können, wenn ich jetzt erlaubt hätte, dass der Meister sie hier im Eis zurücklässt? Sie und den letzten Rest seiner Menschlichkeit?
All das ist doch völlig egal. Wir haben nur ein Ziel, eine Mission.
Nein, wir haben viel mehr. Und du weißt das - versuch doch nicht mehr, es zu verstecken. Die Scham, die ich spüre...sie ist nicht gerechtfertigt, ich weiß das. Aber sie ist noch da. Weil du dich schämst. Weil du weißt, wie falsch es ist, was du tust.
Der Griff des Meisters um meine Metallknochen wird stärker...
Ich sehe zu ihm auf, spüre diese Augen voller kaltem Hass hinter der Maske, über einer versengten Wunde, wo meine Hand ihren Abdruck hinterlassen hat. Sehe zu ihm auf...und doch auf ihn herab.
"Du kannst mich töten, General. Aber dann verlierst du nicht eine Kampfmaschine, die du einfach ersetzen kannst. Du verlierst kein Werkzeug, das ohnehin schon brüchig wurde. Du bringst dann mit deinen eigenen Händen den letzten Freund um, den du noch hast."
Etwas ändert sich in seinem Blick. Ich lasse seine Schultern los, ergebe mich.
"Und deine letzte Chance, irgendwann einmal wieder du selbst zu werfen."
Mir ist, als wollte er etwas sagen.
Mir ist, als würden sich seine Finger kurz noch enger schließen - als würde meine Wirbelsäule ein wenig zerdrückt, so einfach als bestünde sie aus sonnenwarmer Butter...
Er kämpft mit sich. Mit größtem Erstaunen beobachte ich, wie sein Mund zuckt, spüre ich, wie seine Finger nicht genau wissen, was sie tun sollen...
...und da fährt sein Arm aus mir heraus.
Immer noch kommt es mir so vor, als würde er etwas sagen wollen...aber er schafft es nicht.
Wie eine Marionette, die nur die Hälfte ihrer Fäden besitzt, wankt er zurück. Ich muss seine Hand ergreifen, bevor er in den Fluss fällt!
Er packt sie fester. Zerquetscht meine Knochen. Aber ich merke, dass er das nicht tut, um mich zu bestrafen...er...braucht mich!
Also drücke ich zurück. Sanfter. Bin sein Freund. Wie immer.
Seine andere Hand findet zu sich. Ihre Bewegungen werden überlegter. Er holt etwas aus seinem Gürtel - eine Rolle des Stadtportals.
Endlich öffnet sich sein Mund, und es ist, um "KoKoMal" auszusprechen. Das Portal öffnet sich. Ein Blick auf Harrogath stellt sich zwischen mich und ihn.
Er stößt mich plötzlich von sich. Wendet den Blick den Flusslauf entlang. Ballt die Fäuste, hebt die Arme wie in stummen Aufbegehren, und über fünf Skelette gleichzeitig erstehen aus den Leichen der Monster. Die Armee ist wieder komplett...nein, es sind noch mehr Krieger in ihr, als es je waren.
Mit präziser Geste deutet er auf Anyas Gefängnis.
"Rette sie!", befiehlt er.
Und dann marschiert er davon.
Ich haste durch das Portal, bevor er den Kampf gegen sich selbst doch noch verliert.
Barbarenwachen sind schon zur Stelle - mit gezogenen Waffen, wie mir sofort auffällt. Ich hebe die Hände. "Ich bin es nur. Bitte, holt Malah und Deckard Cain. Anya braucht Hilfe!"
Kurz darauf stehen die beiden Alten vor dem Eisgefängnis im Frostfluss. Wortlos streicheln ihre knorrigen Finger über verschiedene Stellen. Malahs Gesicht ist voll finsterem Zorn, als sie mit fester Stimme einen Krieger anweist, ihr einen bestimmten Trank aus dem Spital zu holen. Dann nickt sie Deckard zu, sie verschränken die Hände um den Stalagmiten, schließen die Augen und konzentrieren sich.
Ein fast unhörbares Klirren ertönt. Sie lassen die Arme fallen.
"Der Zauber ist gebrochen. Schnell, Dorelem - schmelze ihren Mund frei!"
Rasch lege ich meine Hand über Anyas Gesicht, und diesmal weicht das Eis. Als es noch verzaubert war, war es unzerstörbar, zumindest durch Hitze...aber hat der Gefangenen gleichzeitig erlaubt, zu atmen!
Anyas Augen weiten sich in Panik, während ich arbeite. So schnell ich kann...
Ich breche auf Haut. Blitzschnell schalte ich die Hitze niedriger, die ich abstrahle, aber ich habe ihr sicher ein wenig die Lippen verbrannt. Erbarmungswürdig schnappt Anya nach Luft, schwach, aber mit der Dringlichkeit absoluten Überlebenswillens. "Wir haben dich gleich hier raus", rede ich beruhigend auf sie ein. "Halte nur noch kurz durch." Sie zittert in der Kälte, soweit ihre Lage es zulässt. Ich umarme ihren Körper unter dem Eis, zerstöre das Gefängnis.Es muss jetzt ganz schnell gehen.
Lass mich für einen Moment.
Warum sollte ich das tun?
Ich kann und werde ihr helfen - denkst du, ich will sie nicht genauso retten wie du?
Das würde mich wundern, ja. Aber ich denke auch, dass du sie nicht umbringen wirst, also, was hast du vor?
Der Zweite übernimmt stumm, löst meine Hände vom Eis, zieht die Tonummantelung und auch das Feuer davon zurück, dann rammt er die Stahlfäuste einmal, zweimal, dreimal mit genau kontrollierter Kraft in den Stalagmiten.
Das Eis zersplittert. Wir fangen Anya auf, umgeben sie in wohliger Wärme, erlauben ihrem geschundenen Körper, sich selbst aus der Erinnerung der kompletten Eingeschlossenheit zu schütteln. Während ich ihre Füße freischmelze, kommt der Trank. Ich muss ihr den Mund aufhalten, den Kopf ruhig, Malah flößt ihrer Tochter die grünliche Flüssigkeit mit sanfter Gewalt ein. Sofort gewinnen Anyas blaue Lippen ein wenig an Farbe. Ihr panisches, todesängstliches Zittern beruhigt sich. Kalte Tränen rinnen meinen Rücken herab.
"Du hast es geschafft, Anya. Ich bringe dich nach Hause, ja?"
"Lass mich los", schluchzt sie, mit Stahl in der Stimme. Ich werfe über ihre Schulter hinweg Malah einen Blick zu, die grimmig nickt.
Anya kann aus eigener Kraft stehen. Ich bin schwer beeindruckt. Schon sind ihre Tränen versiegt.
"Danke, Dorelem. Danke, Mutter und Deckard. Ich...ich dachte, es wäre vorbei..."
Malah packt sie fest. "Ich lasse dich nicht auch noch gehen, meine Tochter."
Anya nickt. "Ihr wisst, dass es Nihlathak war?"
"Ja", knurrt ihre Mutter.
"Ich war unvorsichtig - hatte es selbst nicht richtig geglaubt..."
Wir folgen ihr durch das Portal, während sie redet - nahe bei ihr, falls ihr Wanken in Fallen übergeht. Aber sie braucht uns nicht.
"Aber wie der General mir geschrieben hatte, hatte Nihlathak in seinem Haus einen Schrumpfkopf versteckt, ein hässliches Ding - Schädel, durchbohrt mit einer Metallspitze, gedacht um ihn daran herumzutragen. Ich habe ihn angefasst, und mir ist schlecht geworden. Die Magie darin...ich weiß nicht, was diese Verzauberungen verursachen könnte, aber es ist niemals etwas Gutes. Das Resultat hingegen spricht für sich, er brodelte sogar für mich mäßig Begabte geradezu über mit Macht."
Wir sind bei Larzuks Schmiede angekommen. Sie nickt dem breiten Barbaren zu, der unsicher zurück winkt, und stellt sich so nah vor den Ofen, dass ich mir Sorgen um ihre Haare mache. Langsam gewinnt sie wieder an Farbe. "Dann hat mich Nihlathak erwischt, als hätte er gespürt, dass ich seinen Schädel angefasst habe. Ich wollte wissen, was das soll, was er damit will - da hat er sich auf mich gestürzt, und obwohl ich ihm sicher alles hätte brechen können...er bekam das Ding zu fassen, plötzlich wuchsen Knochen um mich hoch, und dann weiß ich nicht mehr viel."
Malah kommt herein, sie hat kurz mit Larzuk geredet, aber alles gehört. "Er ist Ältester, und der einzige. Ich weiß nicht, wie man in so einem Fall vorgehen soll, die Gesetze haben mit einer solchen Katastrophe nicht gerechnet. Womit sie aber durchaus gerechnet haben, ist ein Angriff, und ich würde ganz sicher sagen, dass er lebensbedrohlich war. Wenn du ihn das nächste Mal siehst, dann brich ihm alles, falls ich ihn nicht vor dir erwische. Niemand wird dir etwas vorwerfen."
"Mein Hammer hungert schon...", murmelt Anya. Larzuk kommt mit einer Kanne Tee herein, aus der sie direkt trinkt.
"Ob wir aber so herausfinden werden, warum er uns so verraten hat?", wirft Deckard ein.
Ich melde mich. "Das kann ich beantworten." Ich erzähle in knappen Worten, welchen Unfug er uns als Rechtfertigung gegeben hat. "...aber wenn ich auch nur ein wenig vom General auf ihn schließen kann, dann sind Baal und das Schicksal der Welt für Nihlathak eigentlich zweitrangig. Er will Trang-Ouls Avatar."
"Und ich will seine Eingeweide vor mir ausgebreitet sehen", spuckt Malah. "Er hat sie alle getötet...meinen Mann...meinen Sohn hat er auf dem Gewissen!"
"Ich glaube, ich werde euch enttäuschen müssen", seufze ich. "Der General will den Schrumpfkopf und Nihlathak hat ihn zu sich eingeladen, wohin auch immer. Einer von beiden wird danach tot sein, und ich bin absolut davon überzeugt, dass es nicht der sein wird, der schon vier Teile des Sets gesammelt hat."
"Es ist unser Vorrecht, Rache zu üben!", ruft Anya.
"Das ist ihm leider völlig egal. Du hattest schon Glück, dass ich..."
Ich winke kopfschüttelnd ab, ohne ihr zu erzählen, dass der Meister sie fast zurückgelassen hätte.
"Und wo ist er jetzt?", will Deckard wissen.
Hilflos werfe ich die Arme in die Luft. "Frag mich was Leichteres!"
Ich sacke in mich zusammen. "Tut mir Leid, ich habe auch kein größeres Recht darauf, wütend und genervt zu sein als ihr. Er hat mich Anya helfen lassen und ist einfach weiter gezogen. Garantiert hat er Nihlathaks Tod und Trang-Ouls Schwingen im Fokus, aber er ist nicht blöd; wenn er jetzt blind dem hinterher rennt, muss er später noch einmal durch den ganzen Fluss laufen. Das spart er sich...wenn er einen Wegpunkt findet."
"Nun, es gibt einem im Weg der Urahnen."
Das weiß er.
Was, woher?
Ich weiß es, also weiß er es auch.
Das gibt überhaupt keinen Sinn, aber weißt du was? Ich gebe auf. "Dann sucht er den", bestätige ich es für die Anderen ohne genauer zu erklären. Bevor aber jemand doch nachfragen kann, fällt mir etwas ein, und ich springe auf. "Wenn er den Wegpunkt findet und benutzt, egal wohin, dann werde ich mitgerissen!"
"Du könntest also jederzeit verschwinden?", schmollt Anya. "Ich habe mich noch nicht einmal richtig bedankt!"
"Bedank dich bei dem Rest des Generals, der tatsächlich einmal mein Freund war", winke ich ab. "Malah, ich nehme an, die Boten aus Nekropolis können befreit werden?"
"Ja, selbstverständlich. Die Wachen sollten dir vertrauen, wenn nicht, schick nach mir."
"Danke. Es tut mir Leid, aber ich möchte die kurze Freiheit, die ich gerade habe, voll ausnutzen. Bitte betet mit mir zu allen Mächten des Himmels, dass der General es nicht schafft, den Schrumpfkopf zu bekommen. Ich werde alles tun, was ich kann, um ihn daran zu hindern."
"Aber...würdest du ihn sterben lassen?", stellt Deckard die entscheidende Frage.
Ich halte auf dem Weg zur Tür inne.
"Sagen wir es so...nicht, wenn Nihlathak ihn tötet?"
Würde ich?
Natürlich nicht.
Natürlich...
Eine Minute später habe ich das Gefängnis und eine Antwort erreicht: das Problem ist doch immer, dass es so Viel gibt, für das es sich zu leben lohnt.
"Hallo, Lixt. Dostrian, Hunradil. Es ist viel passiert, und dazu gehört, dass wir diesen Unfug lassen und ihr frei seid." Ihr Lächeln wärmt mich. Dostrians Stimme ist deutlich kühler. "Das ist ja schön, und es hat auch nur einen Vormittag benötigt. Wo ist der General?"
"Ich weiß es nicht, und das ist das Problem." Extrem verkürzt erzähle ich noch einmal, was passiert ist. "Und darum könnte ich jede Sekunde verschwinden."
"Wirst du ihn dann aufhalten?", fragt Dostrian
"Wenn ich es irgendwie schaffe."
Lixt packt meine Hände. "Aber wie sollst du ihn aufhalten...ohne dabei selbst..."
Ich seufze. "Ja, daran kaue ich auch schon eine Weile. Ich weiß es nicht. Meine größte Chance ist vielleicht, ihn irgendwie nieder zu schlagen und die Rüstung von ihm zu bekommen. Aber ich fürchte, er ist gewarnt. Vielleicht habe ich es verspielt, weil ich ihn gezwungen habe, mich Anya retten zu lassen. Verdammt, das klingt alleine schon grauenhaft!"
Dostrian schüttelt den Kopf. "Das hätte es gewesen sein können...wenn du ihm so weit widerstanden hast, die Beherrschung zumindest kurz abgeschüttelt, dann hättest du ihn doch gleich erledigen können."
"Auf Anyas Kosten?"
"Manche Opfer müssen..."
"Das ist doch Quatsch!", schießt Hunradil dazwischen. Lixt blickt mir tief in die Augen. "Du hast das Richtige getan."
"Leute, ihr müsst aufhören, so emotional zu handeln - wir reden hier über Dinge, die das Ende der Welt bedeuten, wenn wir falsch handeln! Und niemand außer uns ist dazu in der Lage, überhaupt etwas zu tun! Dazu gehört, Verluste zu akzeptieren. Dazu gehört, das Geschäker zu lassen."
"Ach, dass dich glühende Eifersucht plagt, weil Dorelem weiter mit Lixt gekommen ist als du es jemand schaffen könntest, ist nicht emotional?", schmettert ihn plötzlich jemand nieder.
Dieser Jemand war...ich?
Dostrian steht mit offenem Mund da. Hunradil glotzt mich an. "Warum redest du von dir...?"
Lixt formt mit den Lippen das Wort, das ich suche. Zweiter?
Irgendwie spüre ich, dass mir nicht viel Zeit bleibt. Ihre Hände sind immer noch in meinen. Soll ich das einfach als gutes Zeichen...soll ich, dass der Zweite...
Was soll ich...?
"Lixt, es tut mir Leid, ich sollte das nicht tun, aber zur Hölle damit. Wenn ich meine Gefühle leugnen würde, könnte ich gleich dem General aufs Wort folgen. Ihn sich selbst verlieren lassen und als seelenloses Monster Baal töten, aber garantiert nichts retten. Aber das löst überhaupt nichts, um am wenigsten das, was mich am meisten quält. Wenn es hier nur um mich ginge, vielleicht auch nur um mich und den General, könnte ich mich verleugnen, den Zweiten übernehmen lassen und nie wieder darüber nachdenken, was ich selbst eigentlich will. Das kann ich aber nicht. Denn was ich will, ist, dass es dir gut geht, in einer Welt die weder von Baal noch von einem Wahnsinnigen in goldener Rüstung beherrscht wird. Weil ich glaube...weil ich mir fast sicher bin...dass ich dich liebe."
Sie schluckt.
Und da lösen sich ihre Hände von meinen.
"Dorelem...ich glaube auch...aber ich weiß nicht...ob ich das kann..."
Ich presse meine Finger in mein Gesicht, aber das verhindert natürlich nicht, dass ich ihren Gesichtsausdruck sehen kann, in dem so viele Gefühle einander bekämpfen. Meine Schuld. Und Dostrians Hass, der entgeht mir auch nicht.
"Was erlaubst du dir überhaupt - hast du dich schon einmal in einem Spiegel betrachtet? Du bist die Mordmaschine eines völlig übergeschnappten größenwahnsinnigen Verräters, und willst hier...?"
"Still!", donnert der Zweite, und die schiere Gewalt seines Wortes, des wahren, rechtschaffenen Zorns einer Art, die ich noch nie bei ihm bemerkt habe, schmettert Dostrian erneut nieder.
"Würdest du heuchlerischer Waschlappen sagen, dass dein Ojaled es mehr verdienen würde, sein Glück zu suchen? Wenn Golanthe an dir interessiert wäre? Du liebst Lixt ebenfalls, das kann jeder sehen, und warst nie Manns genug, etwas deswegen zu unternehmen. Weil deine Gefühle dich hindern würden, der beste Arschkriecher von allen zu sein? Niemand kann sich gegen seine Gefühle wehren! Sag es ruhig, du bist neidisch auf...mich, und dann können wir auf einer Ebene reden. Dass ich ein Golem bin, sollte nichts ändern...für dich, du Advokat ihrer Freiheit. Ganz oder gar nicht!"
Meine Hand fällt wieder an meine Seite, meine Haltung wird gerade. "Danke", richte ich an den Zweiten, verwirrt, aber nach außen an Dostrian dafür, dass er die Klappe hält.
"Lixt, ich weiß nicht, was falsch und was richtig ist, für mich, für uns, und natürlich weiß ich nicht, was du denkst. Aber du weißt jetzt, was ich denke, und dazu kommt noch eine Sache. Ich will deine Welt retten, für dich, egal, was mit mir passiert. Und wenn der General dem im Weg steht...er, und damit ich selbst..."
Sie schluckt und schüttelt den Kopf. "Tu es nicht..."
Was soll ich ihr darauf antworten?
Doch da packt mich etwas hinter dem Nabel und reißt mich fort, erspart mir die Antwort ihr, aber nicht mir selbst gegenüber; und das letzte, was ich sehe, ist Dostrians Nicken unter verengten Augen. Tu es.
Aber erst nachdem Baal tot ist, hm? Feiger Bastard.
Ich stehe mit dem Meister und der Armee bei einem Wegpunkt.
Wir sind in einem engen Raum, dessen klaustrophober Effekt nur durch tiefe Schatten verstärkt wird, wo Fackellicht sich an unregelmäßigen Wänden fängt; sie sehen aus, als hätte man den Putz mit gewaltigem Hass gegen die Steine geworfen, und wo er nicht kleben blieb, wurde einfach die doppelte Menge verwendet. Die Farbe ist zwischen einem schmutzigen Beige und beunruhigendem rostrot. Der Boden ist gestampfte Erde, oder doch nur Dreck und Staub vieler Jahre auf Holzbohlen, näher betrachtet. Alles wirkt organisch, im Sinne dessen, dass es keine wirklich geraden Linien gibt; welchen Eindruck es aber auf keinen Fall vermittelt ist der von Leben. Maximal verendetes, versteinertes, vergessenes Leben, die Knochen einer lange schon ausgestorbenen Rasse von Giganten.
Durch die Fackeln auf Leuchtern wie aus geronnenem Fett - und deren Rauch als wäre es tatsächlich das Brennmaterial - ist gerade genug Licht, um meine Nachtsicht auszuschalten. In den verworrenen Wänden könnte ein Schatten eine Nische oder einen Gang bedeuten, Monster aller Art versteckend. Der Meister ist hier, man sieht immer noch, wo ich ihn geschlagen habe. Soweit, so bekannt.
Deswegen sollte mich zumindest eine Rüstung aus gesundem Fatalismus schützen, wie sie mich bisher überleben hat lassen, oder vielleicht sollte mich die Erleichterung, dass ich zumindest ein vielleicht letztes Mal noch mit Lixt reden konnte und ihr sagen, was ich sagen wollte, sogar tragen...
Doch mich erfüllt nichts als lähmende, unbedingte, alles erfüllende Furcht. Ein Griff um meine Seele, der mich erstickt und fast körperlich zu Boden drückt.
Wo sind wir? Was ist das für ein grauenhafter Ort, was macht ihn so viel schrecklicher als all die Höhlen voller Schrecken und Qual, die wir bisher schon überstanden haben?
Es sind die Hallen der Schmerzen, Dorelem.
Tief im Herzen der Festung des Generals.
"Willkommen zu Hause, Zweiter", grinst der Meister, und die Quelle meiner existenziellen Panik wird offensichtlich.
was bisher geschah - im Rich Text Format runterladen
Teil 1 komplett als *.pdf runterladen 640kB
Teil 2 komplett als *.pdf runterladen 840kB
Teil 3 komplett als *.pdf runterladen 840kB
Teil 4 komplett als *.pdf runterladen 900kB
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