Ich denke, also bin ich
von Simon Salzl aka TwinYawgmoth
Teil 1 - Tönerne Taufe
Kapitel 64: Experimente
»Ein neu erfundener Zauber ist eine sehr persönliche Sache. Ihr müsst für ihn jeden Parameter selbst erschaffen: Gesten, Worte, diese Aktionen müssen akkurat sein und letztlich zu genau der Wirkung führen, die der Zauber haben soll.«
Der Meister nickt auf diese Worte Deckards gedankenvoll.
»Und wie sieht es mit Zaubern aus, die es bereits gibt? Diese kann doch eigentlich Jeder erlernen, oder? Ich habe es.«
»Wenn ein Zauber erst mit einer bestimmten Reihe von Aktionen verbunden ist, die dazu führen, dass seine Wirkung eintritt, dann kann diese Reihe von Aktionen von Jedermann durchgeführt werden, der sie kennt, und der genug Manakraft in sich trägt. Diese Gabe ist natürlich auch nicht Jedem gegeben.
Solltet Ihr es schaffen, einen Zauber für Skelettmagier zu entwickeln, dann wäre Euer persönlicher Magier - Zauber für Jeden Adepten anwendbar, dem ihr die Methode verratet.«
»Oder ich habe keine Lust, mein Wissen preiszugeben, und nehme es mit ins Grab. Sonnenklar. Nur blöd, wenn das Buch, in dem es steht, dann auf die Dauer vermodert.«
Und ich habe mich gewundert, dass der General (der Autor des Buches) nie auf die Idee gekommen ist, Skelettmagier zu erschaffen - womöglich ist er auf die Idee gekommen, der Meister kann es nur nicht mehr nachlesen.
Da fällt mir etwas ein - aber natürlich kann ich den Menschen das nicht mitteilen. Ich muss auf eine Gelegenheit warten, sonst werden sie nie darauf kommen, was ich ihnen sagen will.
»Was soll ich also tun, um aus so einer Leiche einen Skelettmagier zu erschaffen?«
Dabei weist der Meister auf den Berg vermoderter Knochen, die wir aus einem Massengrab für Dämonen geholt haben. Die Körper wurden verbrannt, damit sie nicht verschwinden und später die Seelen, die daran gebunden sind, neugeboren in frischen Körpern wieder erscheinen - aber die Knochen sind noch da, weil Gefallene gegen Feuer immun sind. Ganz praktisch.
Deckard weiß Rat.
»Ihr kennt Euch ja nur aus zweiter Hand mit der Nekromantie selbst aus, darum könnte das etwas schwierig werden. Ich schlage vor, dass Ihr die Aktionen zur Erschaffung von Skeletten als Vorbild nehmt, daran etwas verändert, wie auch an den Skeletten selbst, und versucht, am Ende einen Magier dastehen zu haben.«
»Hm, ich weiß ja nicht - das scheint mir doch ein wenig schwierig ... «
»Warum denn das?«
»Die Aktion zur Erschaffung von Skeletten ist nur ein einziges Wort, das ich nicht einmal aussprechen muss, nachdem ich es einmal laut gesagt habe - es reicht, wenn ich es in meinem Gedanken formuliere.«
Deckard sieht ihn nachdenklich an.
»Und welches Wort ist das genau?«
»Es ergibt für mich keinen Sinn. SolUmUm.«
Deckard lächelt.
»Ganz einfach - das ist das Runenwort für Knochen!«
Der Meister grinst darauf.
»Wie offensichtlich! Der General hatte wenig Fantasie.«
Das ist ja besser, als ich dachte! Meine Idee könnte sehr leicht zu Erfolg führen. Aber noch ist die Gelegenheit für eine Erläuterung nicht gegeben ...
»Vielleicht hilft es ja, das Runenwort anders auszusprechen? Ihr könntet testen, wie es sich auswirkt.«
Auch eine gute Idee, die Deckard da hat, wenngleich von meiner verschieden.
»Könnte funktionieren. KoLumLum!«
Dabei deutet der Meister mit seinem Stab auf die Knochen. Nichts passiert. Er runzelt die Stirn.
»LoUmLum! DolPulUm!«
Deckard seufzt.
»So kann sicher nichts daraus werden. Ihr müsst schon ein Konzept vor Augen haben, was der Spruch bewirken soll. Ich kenne mich leider überhaupt nicht mit Nekromantie aus, aber bei mir hat es immer so funktioniert: Ich konzentriere mich auf die beabsichtigte Wirkung des Zaubers, verbinde die in Gedanken mit der Aktion, die ich dafür vorsehe, und führe diese Aktion dann aus. So funktioniert die Erschaffung neuer Zauber.«
Der Meister überlegt.
»Aber dann sollte ich mir vielleicht ein ganz eigenes Runenwort ausdenken.«
Jetzt ist die Gelegenheit. Ich hebe die Hand.
»Golem? Was ist los?«
Ich bedeute ihm, zu warten, und renne in sein Zelt, um das Buch des Generals zu holen. Ich schlage es auf und blättere vorsichtig in den brüchigen Seiten. Dann deute ich auf das Runenwort für die Skelette, das verschnörkelt dort steht, für in heutiger Schrift geschulte Augen gut lesbar und darunter, wie ich jetzt weiß, in Runen.
»Ja, da steht SolUmUm. Was willst du?«
Ich deute auf den Fetzen Papier, der im Einband hängend anzeigt, dass nach dieser Seite einmal eine nächste gefolgt hat.
Ich forme meinen Körper so um, dass ich einem Skelettmagier ähnle, mit Kugeln an den Händen.
Dann deute ich auf das Knochen - Runenwort, dann auf die nächste Seite, und sehe den Meister fragend an.
»Hm. Du meinst, auf der nächsten Seite stand, wie man Skelettmagier erschafft?«
Ich nicke.
»Schöne Theorie, und was soll uns das bringen?«
Ich würde mir jetzt gerne mit der Hand vor den Kopf schlagen. Ich deute noch einmal auf das große SolUmUm auf der Skelettbeschwörungsseite, dann auf die nicht vorhandene nächste Seite.
»Tut mir Leid, aber ich verstehe nicht, was du uns sagen willst ... «
Nein! Jetzt gib dir mal Mühe!
»Ich glaube, zu verstehen, was er denkt.«
Ah, Deckard ist auch noch da! Mein Retter in der Not. Bitte glaube das Richtige.
»Wenn der General tatsächlich einen Zauber für Skelettmagier entwickelt hat, dann sollte auch eine Aktionsfolge für diesen Zauber existieren. Und da die Methodik des Skeletterweckens nur die Aussprache oder gedankliche Artikulation eines Runenwortes ist, liegt es doch nahe, dass die Methodik des Skelettmagiererschaffens genauso simpel ist, oder?«
Natürlich lässt mich Deckard nicht im Stich! Ich nicke emphatisch. Genau das war meine Idee. Der Meister scheint nicht überzeugt.
»Also müsste ich nur ein paar Runenwörter durchprobieren, um es herauszufinden? Aber das kann doch jede mögliche Kombination sein ... «
Gib dich nicht immer dümmer, als du bist ...
»Knochen war sehr eindeutig, vielleicht findet Ihr ja ein ähnlich eindeutiges Wort, mit einer Bedeutung, die auf Magier hinweist?«
Danke, Deckard.
»Hm. Ich kenne aber kaum Runenwörter - wo soll ich sie finden?«
»Ich glaube, Akara kann euch mit ihrem alten Lexikon aushelfen.«
Und so leihen wir uns Akaras Werk zu sämtlichen heute bekannten Runen und Runenwörtern. Der Meister schlägt einige von ihnen vor.
»Tod?«
»Ich glaube nicht. Das wäre wohl für reine Magier etwas zu drastisch.«
»Königsmord?«
»Warum denn das? Ich denke, es ist viel einfacher.«
»Aber ich sehe hier kein Wort für 'Magier' oder 'Zauberer'!«
»Sagtet Ihr nicht, es gäbe verschiedene Arten von Magiern, den Elementklassen zugeordnet?«
Dazu fällt dem Meister erst einmal nichts mehr ein.
»Stimmt. Aber ich denke doch, dass der General eher ein Typ war, der Sinn für große Effekte hatte. Ich werde es zunächst mit solchen Wörtern probieren.«
»Wir haben genug Leichen für Versuche, tut dies einfach.«
Damit starten wir ein paar Tests. Der Meister steht mit seinem helfenden Stab in der Nähe der Leichen und spricht Wörter aus, die ihm passend erscheinen ...
»HelElVexOrtGul!«
Tod. Nichts passiert.
»HelOhmUmLoCham!«
Verdammnis. Auch nicht. Ich vertraue ja eher auf Deckards Idee ...
»VexLoBerJahKo!«
Zerstörung. Irgendwie wird das sinnlos ... Moment.
Die nächste Leiche glüht auf und zerfällt zu Staub.
Der Meister erschrickt kurz. Dann gibt er einen Freudenschrei von sich.
»Ja! Es tut sich etwas! Aber warum nicht mehr?«
Deckard weiß auch hier Rat.
»Es könnte damit zusammenhängen, dass ihr den Wunsch nach einen Skelettmagier nicht klar formuliert habt in Gedanken.«
»Hm. Das sollte kein allzu großes Problem sein - ich werde 'SolUmUm' vorausdenken.«
Wieder richtet der Meister seinen Stab auf eine Leiche. Ich richte mich gespannt vor.
Da wächst die Leiche an, der Dreck fällt von den Knochen. Ein Skelett entsteht.
Aber der Meister hat doch noch gar nichts gesagt ...
»VexLoBerJahKo! Brenne, Feuermagier!«
Er hat SolUmUm vorangedacht! Das hat ein normales Skelett entstehen lassen. Das sehe ich sofort, als sich ein Schwert bildet. Aber trotzdem glüht es vor mir - eine andere Leiche ist es. Wird sie wieder verbrannt werden?
Da explodiert die Leiche. Knochensplitter schießen in alle Richtungen, eine Druckwelle lässt Sekundenbruchteile nach einen lauten Knall Zeltwände flattern.
Deckard liegt am Boden, aus dem Gleichgewicht gebracht von der Wucht der Detonation.
Der Meister steht mit offenem Mund da.
Besorgt sehe ich ihn mir genauer an - ihm ist nichts passiert. Keine Blutflecken. Deckards Mantel hingegen ist an manchen Stellen zerrissen.
Und neben einem kleinen geschwärzten Krater steht ein unversehrtes Skelett.
Der Meister schluckt einmal, zweimal. Dann bringt er einen Ton heraus.
»Das ... das war ... drastisch. Zerstörung, jawohl. Aber ... warum ist dem Skelett nichts passiert?«
Deckard versucht vergeblich, mit Hilfe seines Stocks aufzustehen. Der Meister sieht es zum Glück und hilft ihm hastig. Nachdem er sich den Staub vom Mantel geklopft hat, sieht sich der Horadrim-Weise das unbekümmert dastehende Skelett an.
»Ich habe einmal von einer Technik gehört, die den Anwender eines Zaubers immun gegen die Auswirkungen desselben macht. Es ist nichts besonders Aufwendiges - ich hörte, dass es Zauberinnen benutzen, um sich nicht die Finger an den eigenen Feuerbällen zu verbrennen.
Anscheinend lässt sich diese Technik auch auf beschworene Kreaturen des Zaubernden ausweiten - ich bin mir sicher, dass dies ein gewaltiger Aufwand war. Das muss der Grund sein, dass dem Skelett nichts passiert ist - und Euch.«
Der Meister schüttelt den Kopf.
»Aber warum war es so einfach, diese Explosion hervorzurufen?«
Deckard ächzt, als er in Richtung Akaras Zelt wankt, die besorgt aus ihm hervorsieht. Jeder hier hat den Knall gehört.
»Bedenkt, dass dieser Zauber sicher von einem Dritten erdacht worden ist - und dieser hat ihn nur mit dem Wort 'Zerstörung' und einem Gedanken an feurigen Tod bedacht, als notwendige Aktionen.«
Deckard fährt fort, während Akara herangeeilt kommt, um seine Wunden zu versorgen.
»Ich vermute sogar, dass es sich um den gleichen Totenbeschwörer handelt, der auch die Skeletterweckung mit einem einzelnen Runenwort verbunden hat - der General. Ein wahrhaftes Genie der Kunst der Nekromantie.«
Der Meister nickt gedankenvoll.
»Ich bin mir sogar sicher, dass er es war ... «
Damit blättert er in den vorderen Teil des Buches zurück - welcher eigentlich der mittlere ist, aber am Anfang sind unzählige Seiten unlesbar oder fehlen - und schlägt die zweite lesbare Seite auf. Diese ist nur halb vorhanden, aber ein Bild ist deutlich erkennbar:
Eine Explosion aus Blut und Knochen.
Die Überschrift kann Deckard nach seiner Behandlung auch übersetzen:
»Die Kadaverexplosion.«
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