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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 29 - Temperatursturz

In unserem Haus lässt sich der Meister Zeit damit, seine warme Milch zu genießen, die er gefordert hat, bevor er Malah - und mir! - erzählt, was er offenbar besser weiß als wir. Der Zweite könnte mittlerweile darauf gekommen sein, aber der ist natürlich auch wenig zuvorkommend.
Endlich ist die Tasse leer. Es ist klar, dass das nur als Machtdemonstration gedient hat - soweit ich weiß, mag der Meister Ziegenmilch nicht einmal. Das mag Malah auch klar sein, aber sie kann im Moment genauso wenig tun wie ich. In kürzester Zeit hat der Meister bewiesen, wie nützlich er ist, dann wie unersetzlich er ist, und dann, wie viel er sich erlauben kann: alles. Mir ist das mindestens so unrecht wie den Barbaren.
"Nihlathak hat Emund ermordet", erklärt der Meister nun ruhig, und Malah keucht, während ich ruhig bleibe; dass er darauf hinaus will, war mir schon klar. Der Älteste, der uns bisher immer unterstützt hat, durch sein Wort, durch Taten...ich kann es mir selbst schwer vorstellen, dass ausgerechnet er uns verraten hat. Die Frage ist also, ob der Meister Nihlathak nur genauso wie die Novizen für ein Verbrechen anschwärzen will, dass er nicht begangen hat, oder ob es tatsächlich die Wahrheit ist.
"Das ist eine stolze Behauptung", antwortet Malah zähneknirschend, aber der Meister lächelt nur und schnippt nach neuer Milch. Bevor Malah sich dazu herab lassen muss, trete ich hinzu und übernehme es; heizen kann ich sie selber und ich kann auch aus dem Nebenraum hören, was sie bereden.
"Mein Beweis ist ganz einfach, denn er hat ihn selbst erbracht", erklärt der Meister weiter. "Wie dir sogar die drei Versager aus Nekropolis bestätigen können, bin ich auf der Suche nach den Teilen von Trang-Ouls Avatar, einem Rüstungsset, von dem ich bereits vier Teile trage. Dies ermöglicht es mir, den Aufenthaltsort des letzten zu spüren, zumindest sollte es das. Ich wusste die ganze Zeit, dass es hier in der Gegend ist, aber etwas hat meine Wahrnehmung genug gestört, dass ich nicht genau sagen konnte, wo ich es finde. Das hat sich aber heute morgen geändert; als ich aufwachte, war es mir klar. Trang-Ouls Flügel, der noch fehlende Schrumpfkopf, war in Nihlathaks Haus."
"Auch das kann ich nicht als Beweis gelten lassen..."
Der Meister hebt den Daumen. "Der Flügel verstärkt Knochenzauber wie den, der Emund ermordet hat. Auch ein Anfänger könnte damit einen tödlichen Knochenspeer hervorbringen."
Er wechselt auf Zeige- und Mittelfinger; man erkennt wieder deutlich, dass er sie nicht ganz ausstrecken kann. "Es ist gut möglich, dass diese Benutzung des Kopfes dazu geführt hat, dass ich ihn wieder spüren konnte. Da der Mord über Nacht passiert ist und ich es gleich nach dem Aufwachen bemerkt habe..."
Drei Finger. "Und zuletzt: ich habe mit meiner Nachricht während der Versammlung Anya gebeten, in Nihlathaks Haus für mich nachzuforschen. Jetzt sind sie und der Älteste verschwunden. Hat sie sich vielleicht erwischen lassen und wurde erführt, hm?" Malahs Hände verkrampfen sich. "Du...bist für ihr Verschwinden verantwortlich?"
Mit zynischem Lächeln schüttelt der Meister den Kopf. "Keineswegs - das sind Nihlathak und ihre Unfähigkeit, sich nicht erwischen zu lassen. Ich habe lediglich versucht, meine eigentliche Mission voranzustellen, nämlich den Berg und die Welt von Baal zu befreien. Aber wenn du mich nett bittest, dann kann ich meine Prioritäten natürlich auch ändern."
"Nein", knurrt Malah, was den Meister nicht eindeutig sichtbar, aber ich denke doch überrascht. "Ich werde nicht vor dir zu Kreuze kriechen, du Schlange", fährt die Barbarin fort. "Dass Anya auf deine vergifteten Bitten gehört hat, ist in der Tat ihre Schuld. Niemals würde sie wollen, dass ich noch mehr Schuld auf sie lade, wenn ich dir jetzt nachgebe, nur damit du bekommst, was du willst und sie nebenbei rächst."
Sie steht auf und rammt dem Meister einen Finger vor die Brust. "Du wirst den Tod meines letzten Kindes nicht als Hebel verwenden können. Dass du das versucht hast, sagt mir, dass ich keinem deiner Worte je glauben sollte. Ich werde jetzt gehen und dich aus dem Dorf werfen lassen, weil ich glaube, dass du noch viel gefährlicher bist als Baal es je sein könnte. Versuch nur, mich aufzuhalten!"
Ihre feurigen Augen kommen der Maske des Meister ganz nahe.
"Ich habe nichts mehr zu verlieren."
Bravo!

Du wirst dem nicht ernsthaft applaudieren.

Sie hat das ausgesprochen, was ich auch gerne würde.
"Mit dem Tod deiner Tochter würde ich nicht handeln, und auch nicht mit dem Nihlathaks, wobei das sicher geschehen wird. Mit ihrem Leben hingegen...damit kann ich dienen, denke ich." Malah war schon halb zur Tür, aber jetzt hält sie inne. "Gibst du zu, dass du sie als Geisel hast? Das wird meine Entscheidung genausowenig beeinflussen."
"Nicht ich, Nihlathak hat sie als Geisel. Und zwar nicht, um Druck auf dich auszuüben...sondern auf mich. Er will den Rest des Sets, das ist mir jetzt klar. Darum hat er Emund darauf angesetzt, es mir abzunehmen, darum hat er versucht, mich einsperren zu lassen - denn dann hätte man mich garantiert die Rüstung ablegen lassen."
"Was soll ihm Anya als Geisel denn dir gegenüber bringen?", frage ich entgeistert.
"Er denkt, dass ich ein Held bin", kichert der Meister in meine Richtung, und das gibt Sinn, und dass er es lachhaft findet jagt mir die kältesten Schauer über den Rücken. "Wenn Emund sein Agent war, warum hätte er ihn umbringen sollen, und nicht irgendjemand anders?", fragt Malah vorsichtig. Ihre Hand ist auf dem Türknauf.
"Ich gebe zu, dass ich diese Frage nicht beantworten kann. Aber das ist irrelevant - ich kann und werde Anya retten, weil Nihlathak sie als Köder für mich ausersehen hat."
"All das beruht immer noch ein wenig zu sehr auf der Annahme, dass ich dir als selbsterklärten schlechten Menschen Glauben schenke. Nihlathak könnte aus unzähligen Gründen zusammen mit Anya verschwunden sein."
Die Antwort auf die Frage, warum Emund gestorben ist, ist doch offensichtlich...nur nicht für den Meister in seinem jetzigen Zustand. Wobei ich es natürlich auch noch besser weiß, da ich tatsächlich mit Emund geredet habe. Aber ich werde das jetzt nicht aussprechen. Malah wird die Tür öffnen und das ganze Dorf wird dem Meister hoffentlich Sinn und Verstand einprügeln - beginnend mit einer überfälligen Entschälung aus einem gewissen goldenem Käfig.

Ach, was ist denn der Grund für Emunds Tod? Warte...

Nein!

Oh! Ja, das gibt natürlich Sinn. Denk nächstes Mal leiser, mein Lieber!

Sei still!

Keine Chance.

"Ich weiß, warum Nihlathak Emund umgebracht hat", sagt der Zweite, und ich kann ihn nicht aufhalten.
"Du bist auf seiner Seite, Dorelem?", fragt Malah entkräftet.
"Ich bin auf der Seite der Wahrheit", erklärt der Zweite großspurig. "Emund hat viel mit mir geredet, und mir anvertraut, wie beeindruckt er von den Fähigkeiten meines Meisters doch ist. Nach ein paar Kämpfen mit uns war er davon überzeugt, dass wir dieser Welt retten können - nie hätte er uns danach verraten, uns entscheidend geschwächt und Nihlathak die Rüstungsteile überbracht. Als ich mich das letzte Mal von Emund verabschiedete, an seinem späteren Totenbett, kam gerade Nihlathak herein. Er wird seinen Agenten gefragt haben, warum dieser noch keinen Erfolg hatte. Emund, ehrlich wie er ist, wird ihm gesagt haben, dass er nunmehr aus Überzeugung für meinen Meister arbeiten möchte. Nihlathak hat befürchtet, dass dies bedeuten würde, dass Emund verrät, ursprünglich nur für Nihlathak gearbeitet zu haben, und ihn umgebracht - was gleichzeitig eine Möglichkeit für den werten Ältesten war, meinen Meister des Mordes anzuklagen und ihn unberüstet ins Gefängnis werfen zu lassen."
Malah überlegt für einen entscheidenden Moment...und nimmt die Hand vom Türknauf.
"Ich vertraue dir, Dorelem. Wenn du glaubst, dass es so war, dann möchte ich dich bitten, einen Beweis zu liefern."
Du Bastard!

Was, willst du Nihlathak nicht dafür büßen lassen, was er getan hat?

Wenn er es getan hat, natürlich! Aber viel lieber hätte ich den alten Meister zurück gehabt!

Du hängst immer noch an dieser leeren Hoffnung? Hör auf zu träumen, bald ist ohnehin Zeit, aufzuwachen.

Was meinst du damit?
"Vielen Dank, Malah", sagt der Zweite. "Das sollte nicht schwer sein. Ich stimme meinem Meister zu, Anya ist als Köder für ihn entführt worden. Alles, was wir tun müssen, ist in die Falle zu laufen."
"Du musst in die Falle laufen, Dorelem. Niemand sagt hier etwas über den General."
"Das wird nicht funktionieren, Malah", grinst der Meister selbstgefällig. "Nihlathak will mich oder besser meine Rüstung. Wenn ich nicht komme, ist Anya verloren. Also regeln wir das gemeinsam, und Dorelem kann dir danach bezeugen, dass Nihlathak tatsächlich Schuld hatte." Sein Grinsen geht nun an mich, oder besser an den Zweiten; ich würde etwas sagen...aber ich kann nicht.
"Der darf sich dann schon selbst verteidigen", knurrt Malah. Der Meister schnaubt amüsiert und belässt es dabei; nein, er hat nicht im Mindesten die Absicht, den Ältesten leben zu lassen. "Die Frage ist nun, wo er möchte, dass wir ihn finden", sagt der Meister stattdessen. "Anya wollte mir eine geheime Route durch den Berg verraten, mit Hilfe derer man schneller an die Spitze käme", wirft der Zweite ein. "Kennt Nihlathak diese auch?"
"Sie wollte dir was verraten?", ruft Malah entgeistert. "Ich vertraue dir ja auch, aber doch nicht damit!" Der Zweite zuckt mit den Schultern. Der Meister macht eine ungeduldige Geste. "...ja, es gibt einen solchen Weg, und ja, als Ältester kennt Nihlathak ihn", knirscht Malah. "Und du auch nur, weil du mit einem Ältesten verheiratet warst, hm?", stichelt der Meister. "Das ist die Verbindung zwischen dir, Anya und Nihlathak. Falls sein Plan wirklich war, Anya als Geisel zu nehmen, ist das ein klares Zeichen auch an dich, Malah - nur du kannst mir sagen, wo der Geheimweg ist, und nur ich kann dort überhaupt hin, ohne massakriert zu werden. Damit würde er bekommen, was er will. Also sage ich, statt auf eine Einladung zu warten, gehen wir da hin und haben die Chance, ihn zu überraschen. Wenn nicht, sind wir Baal einen Riesenschritt näher gekommen und suchen eben als Nächstes wo anders. Also - rück das Geheimnis raus!"
"Ich schwöre dir, wenn es nicht um das Leben meiner Tochter ginge..." "Tut es aber. Los."
"Gib mir etwas zu schreiben", stößt Malah zwischen den Zähnen hervor. Sie tut mir so Leid...aber bei Lichte betrachtet geht es mir noch schlechter als ihr. Wenigstens kann sie noch überhaupt etwas tun, wenn sie will. Und sie wird das niemals auf sich sitzen lassen...so gesehen muss ich es eigentlich begrüßen, dass der Meister sie mit derartiger Verachtung behandelt. So ist es wahrscheinlicher, dass sie sich etwas einfallen lässt, um ihn aufzuhalten. Ich hasse es, so denken zu müssen, aber was habe ich sonst für Optionen?

Aufhören, zu denken?

Bald ist eine grobe Karte der Höhle gezeichnet, die wir gesehen haben. "Dieser Gang wirkt unpassierbar, da konstant Wasser von der Decke tropft. Es friert, und wirkt dann wie eine von Eis überzogene Wand, von denen es einige im Kristalldurchgang gibt. Aber man kann sich einfach hindurch schmelzen, was dir möglich sein wird", erklärt Malah mit einem Blick zu mir.
"Dann müssten wir ja ohnehin sehen, wenn Nihlathak diesen Weg genommen hat", wirft der Meister ein.
"Nein, er ist ein passabler Eismagier. Nach dem geheimen Durchgang liegt ein kleines Labyrinth an Gängen, von denen wieder einer, der nur unpassierbar scheint, der richtige ist; die Bedingungen in der Höhle sind tatsächlich nicht geeignet, um Stalaktiten wachsen zu lassen, wenn ihr solche seht, sind sie falsch und lassen sich lockern. Bald nach diesem Hindernis werdet ihr dann eine Felstreppe erreichen, die auf der Rückseite eines Felsens eingehauen ist, der auf den ersten Blick so wirkt, als würde er einfach nur an der Wand lehnen."
"Das ist aber ganz schön ausgeklügelt, nur um eine kleine Abkürzung zu verbergen", spielt der Meister herunter.
"Eine 'kleine Abkürzung', die drei Tagesmärsche spart - Zeit, die Baal zum Beispiel länger gebraucht haben wird, um den Gipfel zu erreichen. Jede Sicherheitsvorkehrung wiegt diesen Gewinn um ein Unendliches auf."
"Na dann. Hast du dir die Karte eingeprägt?", frag mich der Meister. Der Zweite bejaht.
"Dann geht mir aus den Augen und ich bete zum den Vorvätern, dass ich nicht gerade den größten Fehler meines Lebens begangen habe!", spuckt Malah. Der Meister verbeugt sich mit breitem Grinsen, und wir marschieren unbehelligt zum Wegpunkt.

Bald darauf sind wir in der Höhle. Es ist überraschend hell - mein Feuer reflektiert von unzähligen Eiskristallen, die die Wände über und über bedecken, verzieren. Es ist wunderschön.
"Mach ein wenig heißer", befiehlt der Meister.
Ich drehe die Flamme auf, bevor mich die Beherrschung packt. "Das könnte aber die Wände anschmelzen", protestiere ich.
"Dann stehen wir eben nicht blöd rum und bewundern die Szenerie. Du führst uns."
Ich seufze. Durch die engen Passagen können gerade einmal drei Skelette nebeneinander gehen, was dem Meister natürlich auch unschlagbar Sicherheit gibt, falls uns etwas angreifen möchte. Zielstrebig lasse ich einige Seitengänge hinter mir, im genauen Bewusstsein, wohin es geht. Wenn Malah uns nicht die Karte aufgezeichnet hätte, wir wären hier Stunden unterwegs gewesen und nur damit beschäftigt, uns zu verlaufen.

Natürlich nicht, wir hätten immer noch eine geistige Karte gehabt.

Du weißt, was ich meine. Und ich meine auch, dass wir Malah viel einfacher dazu hätten bringen können, uns diese Route zu verraten. Oder wir hätten Anya reden lassen können.

Hätte, wäre, wenn. Die Zeit drängt, und das was bei Weitem das Effizienteste. Du kannst dich ja im Nachhinein wortreich entschuldigen, wenn dir danach ist.

Plötzlich ein Fauchen hinter mir. Aus dem dunklen Durchgang, den ich gerade passiert habe, aber noch bevor der Meister mit seinem Kordon an leuchtenden Feuermagiern ihn erhellt hat. Ich fahre herum.
Der Meister schnippt mit den Fingern. Die Skelette formieren sich um und machen mir eine Gasse. Zwei Wächter stellen sich neben mir auf. "Schau nach."
Ich tue wie geheißen.
Etwa ein halbes Dutzend Stacheln bohren sich in meinen Tonkörper.
Das Licht meiner unbeindruckt weiter leuchtenden Flamme zeigt mir geduckte Körper, die in den Schatten kriechen. Die Silhouetten kommen mir bekannt vor...

Sind das Stachelratten?

Aber mit Eisstacheln.
Der Zweite badet sie in Feuer.

Ich sehe kein Eis.

Die herrlichen Kristalle an den Wänden liegen schmelzend auf dem Boden, löschen die dampfenden Leichen der Dämonen schnell.
Ich auch nicht mehr...
Noch zwei mal versuchen sich die Monster an einem Hinterhalt, aber die erste Gruppe hätte ihre Präsenz nicht verraten sollen, jetzt sind wir gewarnt. Die letzten lässt der Meister im Vorbeigehen von Skeletten ausheben, ich muss nicht einmal stehen bleiben. Gleich sollten wir die Wand erreicht haben, die keine ist. Hinter der nächsten Biegung...
Ich halte inne. "Was ist los?", verlangt der Meister.
"Hier sollte die Eiswand sein - der Weg ist aber offen", erkläre ich.
"Also will Nihlathak, dass wir ihm folgen."
"Oder er war sehr in Eile."
Der Meister schnaubt. "Mit mir auf den Fersen würde ich auch rennen. Aber nein, die Falle beginnt spätestens ab hier. Du gehst voran."
Zückersüß.
Es scheint, als wäre hinter dem gefrorenen Wasserfall grundsätzlich mehr Wasser geflossen, als es noch flüssig war. Der Weg verengt sich, Eis umschließt uns in kalter Umarmung; es ist so massiv, dass ich nicht mehr viel davon anschmelze. Tatsächlich drehe ich die Hitze langsam etwas herunter; ich muss auch in diesem neuen Körper zumindest etwas haushalten mit meiner Energie unter diesen extremen Bedingungen. Der Atem des Meisters ist klar sichtbar; er ist regelmäßig und ruhig. Eiskalt. Ob ihm die Kälte zumindest heimlich etwas ausmacht?

Es ist unglaublich trocken hier, besonders jetzt, wo wir keinen Dampf mehr erzeugen. Das kann man gut aushalten.

Durch eine besonders enge Passage muss ich mich seitwärts quetschen. Hoffentlich wird das nicht noch enger! Und ich dachte, nach der Wurmgruft hätten wir schon alles gesehen. Die Skelette zwischen mir und dem Meister können normal hindurch gehen, nur eines bleibt mit der Schulter an einem Eiszapfen hängen, der aus der Wand absteht. Jetzt ist der Meister dran, wegen seiner Rüstung muss er sich schon drehen...

Moment, abstehende Eiszapfen?

"Halt!", brüllt da der Zweite.
Der Meister zuckt instinktiv zurück - und die eisbezackten Wände rammen zusammen, erwischen immerhin nur seinen Arm. Als sich unter Knirschen das Eis entfaltet, schafft der Meister eine Geste. Eine Knochenrüstung formt sich von seiner Schulter an, den Arm herab, drückt das Eis auseinander, und er ist frei.
Lange, affenartige Arme; halslose Köpfe ohne Gesichtszüge; schlanke Körper, die nur aus Dornen bestehen, halb durchsichtig. Was wir eine Verengung glaubten, waren zwei Monster aus Eis, die sich an die Wand geklammert hatten. Sie öffnen Kiefer wie Gletscherspalten, und todeskalte Luft entweicht. Man würde es als sofort kristallisierendes Wasser sehen, wenn die Luftfeuchtigkeit hier höher wäre. So trifft es den Meister, der weiter zurückstolpert, ohne ihm Raureif ins Gesicht zu zaubern; aber von der plötzlichen Kälte zerspringen seine Lippen fast sofort, wie sie sich auch blau färben. Das ganze Antlitz, um genau zu sein; seine Bewegungen verlangsamen sich...die Kälte ist mehr als nur gewaltig. Sie ist magisch.
Die Hand am unverletzten Arm findet den Knauf des Jade-Tan-Do. Der Anteil der Magie wird negiert, das Stolpern des Meisters gewinnt normale Geschwindigkeit, und ein Hieb aus grausamen Zapfenklauen zerschmettert ihm nicht die Brust in der Rüstung, sie streift diese nur, wirft ihn zurück, aus der Bahn des Eisatems. Die Wächter hinter mir haben sich umgedreht und prügeln auf die Monster ein, aber obwohl sich Splitter noch und nöcher lösen, zeigen die sich relativ unbeeindruckt. Sie schreiten wohlkoordiniert nebeneinander auf den gefallenen Meister zu...
Zwei Flammenspeere finden ihr Ziel, durch die Brustkörbe der Skelette hindurch. Unter Dampfen und Zischen vergehen die Monster. Der Meister hat sich von zwei Magiern aufheben lassen und wärmt sich an den Feuerkugeln des dritten. Seine Stimme ist ein Krächzen. "Wie hast du sie gerade noch rechtzeitig erkannt?" Der Zweite erklärt. "Nie wieder", nickt der Meister.
Gern geschehen.

Wir machen unsere Arbeit, und das war gerade fast schlecht.

Es war ziemlich gut.

Wir wollten vorsichtig sein, waren es aber nicht. Das sehe ich genauso wie er als Versagen. Hoffentlich ist sein Arm in Ordnung. Willst du ihn fragen?

Du nicht?

Steht mir nicht zu, wenn er es nicht freiwillig mitteilt.

Und ich soll deine Drecksarbeit machen bei dem Irren, zu dem er geworden ist? Nein, danke. Und wenn er gebrochen ist, das wird er genauso ignorieren wie seine verbrannten Hände. Man könnte meinen, es sei nicht sein eigener Körper.
Auch die Steinsäulen der zweiten Verschleierung des echten Weges liegen achtlos verstreut. "Will Nihlathak, dass Baal den geheimen Aufgang findet?", frage ich ungläubig. Der Meister lässt den Blick gedankenverloren an die Decke wandern. "Könnte man fast meinen...worauf wartest du?"
Ich sage nichts, gehe weiter. Da zischen an mir vorbei und über mich Feuerblitze. Wieder ein Fauchen...

Vorsicht!

Der Zweite übernimmt einfach gleich die Kontrolle und bewegt uns zur Seite, aber es ist zu spät. Mit großem Splittern landet eine Eisbestie auf uns, und für einen Moment muss ich mich erst wieder sammeln.
"Du passt also auf, ja?", hebt der Meister eine Augenbraue. Ich balle die Fäuste, stemme mich hoch, ignoriere ihn und marschiere weiter. Nur kurze Zeit später erreichen wir den Felsen, der die Treppe nach unten maskieren soll. Mein Blick streift über die Wände. "Das wäre der ideale Ort für einen Hinterhalt."
"Zum Beispiel von hinter dem Felsen", stimme ich zu.
Der Zweite tritt einen Schritt näher zum Meister. "Verzeiht bitte", sagt er, lehnt sich näher hinzu und flüstert ihm ins Ohr. "Haltet Ihr es für eine gute Idee, Widerstandsschwund zu fluchen, wenn ich ein Zeichen gebe?" Er nickt knapp. Der Zweite schlendert um den Felsen herum; tatsächlich ist er an der Rückseite ausgehöhlt und Stufen sind in den Berg getrieben.

Eng hier.

Du meinst, hier warten wieder welche?

Nun, das findet sich ja leicht heraus.

"Hier ist es sicher!", ruft der Zweite - aber deutet gleichzeitig rasch auf drei Stellen an der Wand, bei denen ich mir auch nicht ganz sicher bin. Der Meister hebt die Hand, Lichter tanzen - und setzen sich an zwei der Stellen fest.
Meine linke Faust entflammt, fliegt zur Seite, rammt sich in die Wand, und um sie herum vergeht ein Eismonster. Ein zweites löst sich in einer Salve der Feuermagier auf. Da, ein paar Meter weiter, als ich erwartet hatte, löst sich ein drittes von der Wand und stürmt auf den Meister zu...gegen einen Wächterschild, der seine Knochenzehen in den Boden gegraben hat, dem Ansturm stand hält. Drei Skelette und noch zwei Wächter stürzen sich auf das Monster und zerknüppeln es in Sekunden. Offenbar hat der Meister einige der Skelettwaffen von Klingen auf Keulen umgestellt, und das ohne neue zu beschwören.

Gut so, und auch gut, dass wir ohne Verluste vorrücken. Aus den Biestern kann man immerhin keine neuen erschaffen.

Richtig, das hatte ich gar nicht bedacht...
Wir nehmen die Treppe. Unten weitet sich der Raum sofort. Wir befinden uns nicht mehr in Gängen, die nach und nach in den Berg getrieben wurden, sondern in einer großen, natürlichen Höhle. Der Grund für ihre Existenz schlängelt sich ein paar Meter an uns vorbei: ein träge fließender unterirdischer Strom. Wo kommt dieses ganze Wasser her?

Abfluss von Gletschern.

So oder so sorgt der Fluss dafür, dass es hier paradoxerweise etwas wärmer ist als oben. Es gibt weniger Eis an den Wänden, die auch weiter entfernt sind, also sehen wir weniger. Ich erhöhe meine Helligkeit. Nicht tragisch, da ich durch die höhere Temperatur schließlich auch Energie spare. Flussaufwärts ist bald Schluss; er entspringt einem Loch aus der Felswand, die das Wasser vor Jahrhunderten durchbrochen hat. Aber man erkennt ohnehin einen von Menschenhand angelegten Weg in Fließrichtung; es gibt sogar stabil aussehende Holzbrücken. Der Meister kommt an. "Malerisch", bemerkt er. "Nun, es ist klar, wohin es geht - bald sollten wir einen alten Mann, der sich viel zu viel auf seine Schläue einbildet, finden, und dann töten."
Nicht, dass ich Nihlathak Emunds Ermordung nicht auch heimzahlen möchte, aber die komplette Gefühllosigkeit in der Stimme des Meisters lässt mich dennoch erschauern. Er macht das hier nicht aus Rache, aus Zorn, oder gar aus zähneknirschender Notwendigkeit. Es ist für ihn nur der nächste logische Schritt um zu bekommen was er will, und dass es eine Möglichkeit gäbe außer den Ältesten zu ermorden, kommt ihm überhaupt nicht in den Sinn.

Alles andere gäbe nur endlose Probleme.

Malah wollte ihn lebend, damit man ihm den Prozess machen kann. Denkst du nicht, sie würde ihn härter bestrafen als wir das mit einem Schwert durch die Brust je könnten?

Es ist völlig irrelevant, was Malah will.

Wir wissen noch nicht einmal sicher, dass er es überhaupt war!

Auch das ist völlig irrelevant.

Ich seufze laut.
"Ist was?", will der Meister wissen.
Eigentlich würde ich meine Gefühle ja mit ihm teilen, aber ich weiß doch auch, dass es schon lange sinnlos ist. Also schüttle ich den Kopf.

Das wundert mich jetzt aber.

Dass ich allmählich den Mut verliere? Keine Sorge, ich suche mir meine Schlachtfelder nur sorgfältiger aus.

Was interessiert mich das? Nein, ich frage mich, woher dieses Flimmern kommt. Es wird hier doch niemals heiße Luft vom Boden aufsteigen?

Mein Blick schießt auf eine der Stellen, die der Zweite meint. Himmel...das wäre ganz schlecht...das Flimmern bewegt sich.
Mist.
"Verstreu die Skelette etwas", flüstere ich dem Meister zu.
Er verzieht den Mund, tut es aber. Aus meiner Hand löst sich ein Feuerball, in den Weg der Luftanomalie gezielt...als er auftrifft, ein Heulen; für einen Moment wird die Luft stofflich, ein weißes, spinnfadenartiges Gewebe, mit durchsichtigen Auswüchsen wie eine flüssige Flamme, die jetzt in Agonie tanzt. Dann vergeht die Erscheinung, das Heulen klingt hingegen noch lange nach.
Und wird von seinem Surren von überall her beantwortet. In allen Richtungen um uns herum werden die geisterhaften Seelenkreaturen sichtbar.
Die Luft beginnt zu knistern.


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