Ich denke, also bin ich
von Simon Salzl aka TwinYawgmoth
Teil 1 - Tönerne Taufe
Kapitel 21: Reflexionen
Ich kann immer noch kaum fassen, was die Magie des Inifuss - Baumes mit mir angerichtet hat. Mordlust und Machtstreben als selbst erlebte Emotionen waren mir immer fremd. Und am meisten schockt mich, dass ich auch nur in Erwägung ziehen konnte, mich über den Meister hinwegzusetzen. Welche versteckten Kanäle meines Denkens hat diese furchtbare Kraft namens Magie nur in mir erweckt? Der Gedanke, dass jene Grausamkeit und Bösartigkeit immer noch in mir schlummern könnten, bringt mir tiefe Übelkeit.
Überhaupt - es gibt genug Bereiche meiner Selbst, die mir gänzlich fremd sind, und das darf nicht so sein!
Was genau geschieht zum Beispiel, wenn meine Kampfpersönlichkeit die Kontrolle übernimmt?
Ich muss dieses Mysterium lösen, sonst stelle ich eine Gefahr für mich und alle dar.
Einerlei. Dadurch, dass ich derart viel Erde aufgesaugt habe, magiegetränkte Erde, die den ganzen Schlamassel erst verursacht hat, ist ein riesiger Krater mit dem Inifuss - Baum im Zentrum entstanden, dessen Wurzelwerk nunmehr freiliegt. Darin klettert der Meister gerade herum. Kaschya dagegen hält schon eine ganze Weile ihren Bogen auf mich gerichtet, die Sehne gespannt, der Pfeil glühend.
Ich habe mich noch nicht bewegt, aber jetzt drehe ich den Kopf, um den Meister voll ins Blickfeld zu bekommen.
»Halt, du Drecksklumpen! Wenn du dich auch nur ein Haarbreit bewegst, dann ist dein Kopf verdammt noch mal Geschichte!«
Ich schätze, Kaschya ist ein wenig nervös, nicht dass ich es ihr verdenken könnte ... ich wäre wohl auch nervös, wenn zum Beispiel der Meister auf einmal seine Körpergröße verdoppelt und angefangen hätte, Kaschya zu verprügeln.
Also verhalte ich mich ruhig und betrachte das erste Mal den Inifuss - Baum genauer. Blattlos, knorrig, die Rinde geschwärzt und die Äste wie flehend in den Himmel gestreckt, bietet er ein trauriges Bild. Und doch wohnt ihm eine stille Würde inne, eine Erhabenheit, die die Gefährlichkeit seiner Magie Lügen straft. In einer toten Welt, die von Dämonen zerfetzt wurde und die die Mächte des Bösen immer mehr an den endgültigen Abgrund herantreiben, stellt er einen einsamen Pol des Lebens und der Hoffnung dar, welche, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, trügerisch sein kann. Missbrauchen wir die Mächte und Mittel, die uns im Kampf gegen das Dunkel zur Verfügung stehen, dann enden wir selbst auf der Seite des Dunklen. Jede Waffe ist zweischneidig, und die gewaltige Kraft der Magie ist immer eher gegen dich gerichtet als gegen deine Feinde.
Diese wichtige Lektion ist es, die ich aus meinen Erfahrungen mit der Magie ziehen muss, eine bittere, aber auch bitter notwendige.
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