Ich denke, also bin ich
von Simon Salzl aka TwinYawgmoth
Teil 1 - Tönerne Taufe
Kapitel 29: Der schimmlige Foliant
Die Nacht verbringe ich damit, mir eine kleine Leiter zu organisieren, die ja so spät niemand braucht, und die Löcher im Zeltdach mit Ton zu stopfen, den ich ja immer dabei habe. Sieht zwar ziemlich komisch aus, aber wenn es wieder anfängt zu regnen, was es zum Glück heute nicht tut, wird der Meister wenigstens nicht nass.
Die Leiter bringe ich wieder zurück; von weitem sieht das Zelt aus, als wäre ein Knall-Elixier in einer nahen Schlammgrube explodiert. Diese seltsamen Flaschen mit orangener Flüssigkeit, die man auf irgendetwas werfen kann, was daraufhin in die Luft geht, hat Akara zu verkaufen.
Nur kauft sie Keiner, weil Niemand so weit werfen kann, wie ihm lieb wäre. Magie ist einfach nur gefährlich, nichts anderes.
Am Morgen (Morgen? Die Sonne steht hoch am Himmel, und die Jägerinnen führen gerade ihre Wachablösung durch, die nach der Hauptmahlzeit in der Tagesmitte stattfindet ... aber der Meister WAR erschöpft) steht eben jener auf. Das heißt, er springt von seiner Strohmatratze auf, wirft sich ein paar Kleidungsstücke über und rennt nach draußen, wo er stehen bleibt, von der Sonne geblendet.
»Ah, verdammt, was soll denn das, ist schon Mittag? Wer hat denn die verdammten Löcher im Zelt zugemacht, was soll mich denn aufwecken, wenn nicht die Sonne?«
Undank ist der Welten Lohn. Aber ich weiß, dass der Meister seinen Schlaf verdient hat. Zum Glück bemerkt er nicht, wer wohl für das Stopfen der Löcher gesorgt haben muss; das hätte seltsame Fragen aufgeworfen, die ich, stumm wie ich bin, sowieso nicht hätte beantworten können.
Deckard Cain sitzt munter auf einer Bank vor der niedergebrannten Feuerstelle und sonnt sich.
»Guten Morgen, General! Habt Ihr gut geschlafen? Es ist so ein schöner Tag heute, man könnte fast meinen, die Welt wäre noch in Ordnung ...«
»Gut geschlafen? Na ja. Ich wollte eigentlich viel früher aufstehen, aber irgendein Vollidiot hat meinen natürlichen Wecker abgestellt!«
Deckard schaut erst das Zelt mit den Erdklumpen an, dann mich, dann spricht er wieder den Meister an.
»Ich wäre diesem 'Vollidioten' dankbar ... es wird nicht mehr hineinregnen, und ein wenig Schlaf zusätzlich wird Euch sicher gutgetan haben!«
Der Meister ist anscheinend in Eile; er beginnt, an Deckard vorbeizugehen.
»Das ist alles schön und gut, aber ich muss noch etwas erledigen, wenn Ihr mich entschuldigen würdet ...«
»Aber, aber, mein Retter! Es besteht doch kein Grund zur Eile! Setzt Euch, und lasst uns reden ...«
Der Meister schaut mehr oder weniger verzweifelt in alle Richtungen, aber niemand scheint ihm zu helfen.
»Na gut. Was wollt Ihr von mir wissen?«
»Wissen möchte ich gar nichts, danken möchte ich Euch! Immerhin wart Ihr es, der mich aus diesem stinkenden Käfig befreit habt, wobei ich Euere schlagkräftige Hilfe nicht vergessen möchte zu erwähnen!«
Bei diesen Worten schaut er mich wieder einmal mit einem dieser wissenden Blicke an. Wenn man Jemand Weisen nennen kann, dann ihn!
Er redet weiter.
»Aber mehr noch als meine Dankbarkeit dürfte Euch ein kleines Zeichen ihrer erfreuen: ich habe mitbekommen, dass einige Euerer Beutestücke gewisse magische Qualitäten besitzen. Diese herauszufinden bedarf üblicherweise eine Schriftrolle der Identifikation, deren Magie weithin bekannt, aber selten verstanden ist ...«
»Tut mir Leid, Euch unterbrechen zu müssen ... aber worauf wollt Ihr hinaus?«
Der Meister ist wie üblich ein Muster an Höflichkeit. Deckard ist es egal, er macht einfach weiter.
»Ich wage herauszustellen, dass ich einer der Wenigen bin, die die Kunst der Magie noch in ihren Grundzügen kennen und beherrschen, und da solche Schriftrollen in der Herstellung nicht gerade preiswert sind, wäre ich mit Freuden bereit, Euch zu helfen, die magischen Attribute Euerer Gegenstände herauszufinden. Als kleine Gegenleistung für meine Rettung.«
Der Meister scheint erst einmal leicht geschockt ob der Tatsache, dass es jemanden gibt, der noch mehr reden kann als er selbst.
Dann erinnert er sich, was er eigentlich wollte; ich weiß aber noch nicht, was es ist.
»Das wäre fein, Cain. Selbstverständlich war es kein Problem für mich, Euch zu retten, und ihr müsst Euch nicht unbedingt erkenntlich zeigen, aber doch, wenn Ihr es gerne tut, wie Ihr sagtet, dann wäre ich Euch durchaus verbunden, wenn ihr es tun würdet! Sicher habt Ihr schon bemerkt, wo die Sachen liegen, die ich aus Tristram mitgebracht hab, während Ihr dabei seid, muss ich schleunigst was nachfragen. Danke im Voraus.«
Hat er anfangs noch versucht, so gewählt zu reden wie der Weise, ist er am Schluss dann doch etwas abgerutscht...na ja. Eben so, wie er jetzt von der Bank abrutscht, Deckard noch einmal zunickt und zu Akaras Zelt trabt.
Ich stehe relativ baff da. Warum bloß hat der Meister so eine Hektik? Soll er doch froh sein, dass der erste Stress einmal vorbei ist!
Deckard schaut zu mir hoch, der ich noch stehe.
»Du hast keine einfache Aufgabe, mein Freund, aber ich sehe für dich noch eine große Zukunft an der Seite deines Meisters. Oft sind es die kleinen Leute, die etwas in der Welt bewegen, wenn sie nur an der richtigen Stelle sind. An ebensoeiner befindest du dich im Moment. Vermagst du es, deine Bürde zu tragen, wirst du es schaffen, an seiner Seite das Übel aus Sanktuario zu tilgen. Er hat großes Potential, aber ich spüre es, ohne einen Freund an seiner Seite, der ihm ab und zu den Kopf zurechtrückt ...«
Hier lacht Deckard still in sich hinein.
»... wird er scheitern. Bleib standhaft.
Und jetzt los, ich denke, du bist genauso neugierig wie ich, was ihn so aufgescheucht hat!«
Ich bemerke, dass ich mit offenem Mund und weit geöffneten Augen dastehe. Kann es wirklich sein, dass es einen Menschen hier gibt, der erkannt hat, was ich bin?
Ich renne hinter dem Meister her. Bleib standhaft. Oh ja!
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